Covid-19 hat eine Umsatzschneise von drei Milliarden Franken in die schweizerische Veran-staltungswirtschaft gerissen. Dabei gingen bereits 4'400 Arbeitsplätze verloren. smartville.digital-Interview mit Oliver Vrieze, CMSO Bernexpo Group und Vorstandsmitglied von Expo Event, Urheber der Umfrage.
by Urs Seiler | 8. März 2021
-------- Interview --------
«Uns wurde jegliche Planungsgrundlage genommen»
Oliver Vrieze, was ist der Tenor der jetzt veröffentlichten Branchenumfrage der Veranstaltungs- und Messebranche in bezug auf Umsatzverluste im 2020 und die Wiederbelebung des Messegeschäfts und die Transformation des Messegeschäfts?
Ich kann nicht für alle sprechen, aber die Umsatzverluste, welche mich aus der Branche und von Kollegen erreichen, sind niederschmetternd. Wir haben Geschäfte, die einen Einbruch von bis zu 80% verzeichnen.
Dies ist aber nicht das einzige Problem. Zwar haben viele Standorte in der Vergangenheit ausgezeichnet gearbeitet – auch unsere Vorgänger hier in Bern waren großartige Unternehmer und haben uns geholfen, ein Polster zu schaffen. Uns wurde aber – und das ist die zweite große Herausforderung – jegliche Planungsgrundlage für die Zukunft genommen. Jene, die Mut, Zeit und Geld investiert haben in Schutzkonzepte und Corona-konforme Lösungen, wurden mit Verordnungen bis hin zum Veranstaltungsabbruch gestraft. Jeder Wiederbelebungsversuch endete somit in weiteren Aufwänden, die ins Leere liefen.
Zwar hat sich damit die Entwicklung der digitalen Alternativen maßgeblich beschleunigt und es wurden auch ein paar sehr nennenswerte Innovationen auf schnellstem Weg lanciert, aber das Kerngeschäft – das Live-Business – bleibt weiterhin verschlossen. Und das wäre es, womit wir unser Geld verdienen, in der Peripherie tausende von Menschen beschäftigen und zusätzliche Wertschöpfung generieren.
Namentlich die Messedienstleister warten gespannt auf die Wiederaufnahme von Messen und Events. Welchen Zeithorizont sieht der EXPO-EVENT-Verband?
Es ist so: Das Store-Konzept steht, die Werbebotschaften sind entwickelt, die Mitarbeitenden sowie die Lieferanten geschult und die Konsumenten warten auf die Inhalte und den Startschuss. Aber die Ware vergammelt im Lager, weil der Security vor dem Laden eben kein Security ist, sondern ein tödliches Virus für unsere Mitmenschen. Wer entscheidet, wann der Security wieder lieb und auf unserer Seite ist?
«Die Veranstaltungswirtschaft ist kein Nebenschauplatz.
Aber wir geraten zunehmend an unsere finanziellen Grenzen.»
Wir erheben die Statistik nicht neu erst jetzt. Die Statistik dient den Mitgliedern und dem Verband EXPO EVENT Swiss LiveCom Association für ein jährliches Assessment, wie sich der Messeplatz Schweiz entwickelt. Durchgeführt wurde die Erhebung bisher mit den aktiven Mitgliedern der Verbandsgruppe «Messeveranstalter».
Neu ist jedoch, dass wir auch außerhalb unseres eigenen Wirkungsbereiches darauf aufmerksam machen wollen, dass die Messebranche kein kleiner Nebenschauplatz darstellt. Im Gegenteil: Unsere Branche umfasst zahlreiche Arbeitsplätze und generiert eine nicht zu unterschätzende Wertschöpfung. Entsprechend groß ist das Ausmaß des Schadens, welchen die Corona-Pandemie bei uns anrichtet. Aus diesem Grund wollen wir die Aufmerksamkeit der Politik und der Gesellschaft auf uns richten. Auch wenn wir nicht gerne brüllen und dies selbst ein Jahr nach Ausbruch der Krise noch immer nicht laut tun, und obwohl wir damit zunehmend an unsere finanziellen Grenzen geraten.
Die Kennzahlen der früheren Messestatistik Schweiz basieren auf den Umsätzen der schweizerischen Messeplätze. Der Gesamtumsatz multipliziert sich aber um ein Vielfaches, da weitere Nutznießer dazu kommen wie Messebaufirmen, Architekten, die Hotellerie, die Gastronomie, je nach Messegröße von regional bis national, weitere Gewerbebetriebe. Wer sind die wichtigsten Nutznießer?
Du hast die Antwort schon geliefert – im Kern sind dies die direktesten Nutznießer der sogenannten Umwegrentabilität. Aber vergessen wir nicht, dass Verkehrs-betriebe, Transportunternehmen, touristische Einrichtungen und Ausflugs-ziele sowie auch der Detailhandel und viele weitere Dienstleister ebenfalls einen guten Batzen verdienen, wenn wir für mehrere Tage nicht nur regionale Gäste, sondern auch Auswärtige begrüßen. Dabei geht es ja nicht nur um die drei bis zehn Event-Tage; bei einer Großveranstaltung wird bis zu vier Wochen vor dem eigentlichen Anlass aufgebaut und während rund zwei Wochen wieder abgebaut.
Welche Grundlagen führen zur Definition des Multiplikatorfaktors von zwischen 5 bis 10 für die indirekten wirtschaftlichen Effekte in der Messestatistik?
Wir basieren diese Effekte nicht nur auf eigenen Annahmen. Welche wirtschaftliche Bedeutung den Messeplätzen in der Schweiz in dieser Hinsicht zuzusprechen ist, wird unterschiedlich erhoben. Die Bernexpo Groupe beschäftigte Rütter Soceco und das ITW der Hochschule Luzern, um solche Extrapolationen zu verifizieren. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Anlässe mit großer Ausstrahlung, die einen beachtlichen volkswirtschaftlichen Nutzen nach sich ziehen, basieren also mehrheitlich auf externen Analysen von Experten. Dies beispielsweise auch bei der MCH Group, welche sich über das BAK Basel auf Effekte von knapp zwei Milliarden Franken berufen kann.
Können wir das am Beispiel der Bernexpo Groupe erklären: Gemäß Pressemeldungen bewirkt die Bernexpo Groupe wirtschaftliche Effekte von insgesamt 260 Millionen Franken. Davon entfallen auf direkte Umsätze zwischen 50 bis 62 Millionen Franken, je nach Messejahr und indirekten Umsätze.
Das ist korrekt. Dies ist jedoch nur die Bruttowertschöpfung. Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Messe- und Veranstaltungsstandorts Bern zeigt, dass die Bernexpo Groupe und alle weiteren in der Studie untersuchten Akteure wie Besuchende, Ausstellende etc. jährlich direkte und indirekte Umsätze von knapp 440 Millionen Franken auslösen.
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