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«Das Geschäftsmodell Messe steht unter Druck»

Die Messe-Experten von Agendum haben eine lesenswerte Delphi-Studie mit exzellenten Quellen zur Zukunft der Messewirtschaft vorgelegt. Jeder Messeverantwortliche sollte sie kennen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Juliane Jähnke spricht im Interview mit smartville.digital Klartext. English below.

by Juliane Jähnke und Oliver Schmitt | 8. Dezember 2020

«Krisen können auch Chancen generieren.»

Juliane, Oliver, was beschäftigt Agendum zur Zeit am meisten und lässt Euch nicht schlafen?

Uns beschäftigen ganz klar die Auswirkungen der gewaltigen Krise, in der die Messewirtschaft derzeit steckt, weil sie durch das faktische Berufsverbot zu einem Sonderopfer gezwungen wird, für das sie selber nichts kann. Da helfen wir, wo wir können. Schlaflos macht uns das aber nur, wenn wir mal wieder eine Nachtschicht einlegen müssen. Denn die Handlungsfelder sind breit und die Chancen hoffentlich bald auch wieder praktisch vielfältig.


Wie kam es zur Delphi Studie «Quo Vadis Messewirtschaft?», was war der Anlass, an dem Ihr gesagt habt: Die Branche braucht jetzt neues Wissen?

Die Idee kam mir schon kurz nach dem ersten Lockdown. Oliver war eingebunden in die Krisenkommunikation des FAMA und hat einen sehr breit gefächerten Eindruck gewonnen. Und ich habe in Kundenprojekten die Auswirkungen ganz unmittelbar gespürt. Da haben wir uns gesagt: Wir müssen eine Delphi-Studie machen als Orientierung für die Branche.


«Was die Schweiz anbelangt:

Regionalität wird erst mal ein Vorteil sein.»

Wie steht es um eine Wiederauferstehung von Messen, weil der ausstellenden Wirtschaft jetzt ein, vielleicht der wichtigsten Verkaufspunkt fehlt, was ich von Fachleuten links und rechts höre ?

Na ja, im Moment laufen die großen Messen in China als erstes wieder an. Die interkontinentalen Reisemöglichkeiten werden aber auf lange Sicht sehr eingeschränkt bleiben. Wir befürchten, dass Deutschland vorerst oder dauerhaft Marktanteile verlieren wird, auch an neue Player. Was die Schweiz anbelangt: Regionalität wird erst mal ein Vorteil sein, da hier Formate schneller wieder auf die Beine kommen können. Dazu werden sich aber die Formate verändern müssen, näher am Markt und an den Kundenbedürfnissen orientiert. Die Frage wird auch sein, wie viel Umorientierung unter Marketingverantwortlichen zwischenzeitlich stattfindet und wie leicht man die wieder «auf Linie» bringen kann.


«Wir sind vorsichtig mit Prognosen, ob Messen

zu einem quirligen Festival werden müssen.»


Die Studie führt auch an «Jede Branche wird auch in Zukunft eine eigene Leitmesse als Branchentreffpunkt brauchen». Wie sieht diese Zukunft aus? Was wird anders, neu sein?

Bis dato waren das in vielen Fällen die Leitmessen. Welche das genau in Zukunft sein werden und ob die dann noch interkontinental sind, das muss sich erst noch zeigen. Unabhängig von Covid haben sich da schon vorher Entwicklungen abgezeichnet. Wir wären aber vorsichtig mit Prognosen, ob Messen zu einem quirligen Festival werden müssen. Wir würden uns auf keinen Fall wundern, wenn es nach Corona zu einer Wiederauferstehung von Messen kommen wird. Menschen sehnen sich nach dem persönlichen Austausch, übrigens auch angeblich rational orientierte Ingenieure! Jede Branche braucht Highlights, einen Spannungsbogen, ein «Weihnachten» für ihre Community.


«Eine rein digitale CES halten wir für schwer vorstellbar.»


Auf Seite 10 zur Frage, ob virtuelle Events jetzt die angestammten physischen Anlässe ersetze, antworten 80 Prozent in Europa mit einem Nein, in Amerika hingegen sind 50 Prozent dieser Meinung. Woher kommt diese Diskrepanz? Wird eine CES in Las Vegas jetzt eine Onlineveranstaltung?

Das ist eine spannende Frage. Natürlich sind Amerikaner in der Tendenz offener, was das Geschäftsleben angeht. Und die USA stehen wie kein anderes Land für die Plattformökonomie. Im digitalen Business gilt «the winner takes it all». Die Diskrepanz könnte an einer Art Wunschdenken liegen, immerhin steht für uns in Europa eine Marktführerschaft auf dem Spiel! Aber eine rein digitale CES (https://www.smartville.digital/post/live-ist-immer-noch-besser), nein, das halten wir für schwer vorstellbar.

Auf Seite 24 lautet der Untertitel «365-Tage-Kommunikation mit der Community». Hand aufs Herz: wollen das BesucherInnen einer Messe wirklich?

Da muss man sicherlich von Branche zu Branche, von Messe zu Messe unterscheiden. Nicht zuletzt hängt das auch davon ab, welches Selbstverständnis eine Community hat und ob es Alternativen zum Netzwerken oder bessere Contentplattformen gibt. Im B2C-Umfeld wird das ohne E-Commerce schwer zu realisieren sein. Bei einer von uns konzipierten und erfolgreich lancierten Messe war das in der ursprünglichen DNA übrigens bereits angelegt, wurde aber unseres Wissens mangels Notwendigkeit bisher nicht realisiert. Das könnte die Frage beantworten.


«Eine solche Ansage aus dem Munde eines Journalisten wundert uns nicht.»


Auf derselben Seite sagen die Befragten: «Der Umsatz mit kostenpflichtigen Inhalten und positiven Deckungsbeiträgen wird bei Veranstaltern steigen. Das können Messeveranstalter doch gar nicht, hochstehenden Content produzieren. Aber sie könnten sich natürlich in diese Richtung entwickeln. Wie beurteilt Ihr das?

Eine solche Ansage aus dem Munde eines Journalisten wundert uns nicht, denn Ihr und die Verlage reklamieren ja traditionell ein Quasi-Monopol auf Content! Aber das ist nicht in Stein gemeißelt. Der auf guten Messen generierte Content ist der Hammer! Die Veranstalter wussten bislang nur noch nicht recht, wie damit umzugehen. Ich gebe Dir allerdings recht, dass die Denkweise der «Quadratmeterverkäufer» sich dafür gewaltig verändern muss. Es braucht ganz neue Fähigkeiten und vorausgehend eben ein neues Denken. Das ist ein elektrisierendes Thema!


«Das Geschäftsmodell der Messegesellschaft mit Gelände

steht jetzt noch mehr unter Druck.»


Auf Seite 3 sagt die Studie, die Konsequenzen von Covid-19 würden durch die kommunalen und staatlichen Gesellschaften abgemildert. Ist das die Lösung, die Fortführung eines möglicherweise veralteten Geschäftsmodells? Hajo Erbel, der langjährige Fama-Vorsitzende, spricht diesbezüglich von einer Wettbewerbsverzerrung zugunsten von nicht privaten Veranstaltern. Wie könnte eine zukünftige Lösung der jetzt verschuldeten großen Messeplätze aussehen?

Das ist eine ganz heikle Frage. Wir würden nicht so weit gehen, dass das Geschäftsmodell der Messegesellschaft mit Gelände per se veraltet ist. Aber es steht jetzt noch mehr unter Druck. Es ist ja nicht so, dass sich ein Messegelände von alleine verwaltet, das braucht Managementkapazität. Und die fehlt letztlich an anderen Stellen, beim Kunden, an den Märkten und in der Entwicklung zeitgemäßer Formate. Und man darf nicht vergessen: Die Eigentümer erwarten als Return on Investment in erster Linie regionale Wirtschaftsförderung und Standortmarketing. Je komplexer und digitaler die Wertschöpfungstiefe wird, umso mehr tritt diese Umwegrentabilität in den Hintergrund. In der Vorkrisenzeit haben wir einmal einen Vergleich zwischen Reed und dem Duo Kölnmesse/Messe Düsseldorf angestellt. Heraus kam, dass Reed seine annähernd 30% Umsatzrentabilität an die Shareholder ausschütten oder ins Produkt investieren kann. Die Messegesellschaften kamen seinerzeit auf eine Rendite von 10%, die über Jahre in die Infrastruktur flossen. Das kann man schon als Schieflage sehen. Unser Rat: Investiert in Formate, Kundenbeziehungen und Marktkenntnis, der Beton hält erst mal noch eine Weile.


«Da spielen ganz andere Wettbewerber mit.

Es schadet sicherlich nicht, da ganz genau aufzupassen.»


Werden Messen jetzt irreversibel hybrid? Werden Messegesellschaften von IT-Unternehmen dabei rechts überholt?

Hybrid ist hot, ganz klar. Noch nicht klar ist, ob die Hitze von einer Wunderkerze oder einem Steinkohlenugget kommt. Die jüngsten Erfahrungen zeigen ganz klar, dass digitale Events sehr aufwendig sind bei bislang sehr bescheidener Rentabilität. Unter «hybrid» versteht aktuell noch jeder etwas anderes. Wir sehen da ein «magisches Dreieck»: Das Ganze ergibt erst dann Sinn, wenn es neben physischen und digitalen Events auch Lösungen für 365/24/7 gibt. Und da spielen ganz andere Wettbewerber mit. Noch sind die nicht wirklich auszumachen, aber es kann sicher nicht schaden, da ganz genau aufzupassen.

Wie beurteilt Ihr bestehende digitale Verlängerungen von Messen?

Wir sind davon überzeugt, dass das hybride Geschäftsmodell ohne das Element eines digitalen Treffpunkts Schiffbruch erleiden wird. Der gewaltige Aufwand, der von Veranstaltern und Ausstellern wegen weniger Tage im Jahr betrieben wurde, wird in Zukunft immer schwieriger zu rechtfertigen. Ein digitaler Treffpunkt ist nicht nur der ideale Ort, um den Content, der auf einer Messe entsteht, in neuen Kanälen zu distribuieren und damit zu multiplizieren. Er ist auch ein zeitgemäßes und zukunftsgerichtetes Medium für cleveres Business:to:Business-Marketing. Content hat das Zeug, die Würze für das bislang wacklige Geschäftsmodell hybrider Events zu liefern im Hinblick auf die Zahlungsbereitschaft der Zielgruppen. Aber es wird noch eine Weile dauern wird, bis es gelingt, das Geschäftsfeld mit Content nachhaltig zu erschliessen.


Bitte beendet den folgenden Satz: «Wenn wir «hybride Messe» hören, dann ...

… haben wir Lust und jede Menge Ideen, sie mit Veranstaltern und ihren Interessengruppen zu einem Erfolg zu machen!


Antworten: Juliane Jähnke | Interview: Urs Seiler


--------Englisch --------


«Germany is going to lose to new players»


The trade fair experts at Agendum have presented a Delphi study worth reading with excellent sources on the future of the trade fair industry. Every trade fair manager should know it and draw their conclusions. Juliane Jähnke speaks plain language in an remarkable interview with smartville.digital.


by Juliane Jähnke and Oliver Schmitt | 8 December 2020

«Crises can generate opportunities.»


Hi Juliane, Oliver, what's on Agendum's mind right now and won't let you sleep?

We are clearly concerned with the effects of the huge crisis in which the trade fair industry currently finds itself, because the de facto ban on the profession is forcing it to make a special sacrifice. We help where we can. But that only leaves us sleepless when we have to work a night shift again. Because the fields of action are broad and the opportunities are hopefully soon practically manifold again.


How did the Delphi study «Quo Vadis Trade Fair Industry» come about? What was the tipping point when you said, the industry needs new knowledge now?

The idea came shortly after the first lockdown. Oliver was involved in the crisis communication of the FAMA and gained a very diversified impression. And I have felt the effects in customer projects very directly. That's when we said to ourselves: We have to do a Delphi study as an orientation for the industry.


«As far as Switzerland is concerned,

regionality will be an advantage for the time being.»

Exhibitors now lack one, perhaps the most important, point of sale, as I hear from experts left and right. What about the resurgence of trade fairs?

Well, at the moment, the big fairs in China are the first to start again. But the intercontinental travel opportunities will remain very limited in the long run. We fear that Germany will lose market share for the time being or permanently, even to new players. As far as Switzerland is concerned, regionality will be an advantage for the time being, as formats can get back on their feet more quickly here. To do so, however, formats will have to change, be closer to the market and oriented to customer needs. The question will also be how much re-orientation is taking place among marketing managers in the meantime and how easily they can be brought back on track.


«We are cautious with forecasts as to whether

trade fairs must become a festival.»


The study also states that «Every industry will continue to need its own leading trade fair as an industry meeting place in the future». What does this future look like? What will be different, new?

Up to now, this relates in many cases to the leading trade fairs. What exactly these will be in the future and whether they will be intercontinental remains to be seen. Independently of Covid, developments have already become apparent. But we would be cautious about predictions as to whether fairs will have to become a festival. We would certainly not be surprised if there is a resurgence of fairs after Corona. People are longing for personal exchange, including supposedly rational engineers! Every industry needs highlights, an arc of tension, a «Christmas» for its community.


«We find a purely digital CES hard to imagine.»


On page 10 the question of whether virtual events are now replacing the traditional physical events, 80 per cent in Europe answered «no», while in America 50 per cent of those surveyed were of this opinion. Where does this discrepancy come from? Will a CES in Las Vegas now be an online event?

That is an interesting question. Of course, Americans tend to be more open-minded when it comes to business. And the USA stands for the platform economy (in the digital world the winner takes it all) like no other country. The discrepancy could be due to a kind of wishful thinking, after all, a market leadership is at stake for us in Europe! But a purely digital CES (https://www.smartville.digital/post/live-ist-immer-noch-besser), no, we find this hard to imagine.


On page 24, the subtitle is «365-day communication with the community». Hand on heart: is that really what visitors to a trade fair want?

You certainly have to differentiate from industry to industry, from trade fair to trade fair. Last but not least, it also depends on the self-image of a community and whether there are alternatives to networking or better content platforms. In the B2C environment this will be difficult to realise without e-commerce. Incidentally, in the case of a trade fair we designed and successfully launched, this was already in the original DNA, but to our knowledge it has not yet been realised due to lack of necessity. This could answer the question.


«Such a statement from a journalist comes as no surprise.»


On the same page, respondents say: «Revenue from paid content and positive contribution margins will increase for operators.» This is something trade fair organisers have not done so far, producing high quality content. But they could of course develop in this direction. What is your view on this?

Such a statement from of a journalist does not surprise us, because you and the publishers traditionally claim a quasi-monopoly on content! But that is not set in stone. The content generated at good trade fairs is a killer! The organisers just didn't quite know how to deal with it yet. I agree with you, however, that the way of thinking of the «square metre sellers» must change enormously for this to happen. It needs completely new skills and a new way of thinking. This is an electrifying topic!


«The business model of a trade fair company

with its own venue is now under even more pressure.»

On page 3, the study says that the consequences of Covid-19 are mitigated by the municipal and state companies. Is this the solution, the continuation of a possibly outdated business model? Hajo Erbel, the long-standing Fama chairman, speaks in this respect of a distortion of competition in favour of state-owned operators. What could a future solution look like for the large exhibition operators with their own venue that are now in debt?

This is a very sensitive issue. We would not go as far as to say that the business model of the trade fair companies with a venue is outdated per se. But it is now under even more pressure. It's not as if a fairground manages itself, it needs management capacity. And in the end, that management capacity is lacking elsewhere, at the customer relationship management, in the markets and in the development of contemporary formats. And we must not forget: The state owners primarily expect regional economic development and location marketing as return on investment. The more complex and digital the depth of value creation becomes, the more this indirect profitability fades into the background. In the pre-crisis period we once made a comparison between Reed and the duo Kölnmesse/Messe Düsseldorf. The result was that Reed can distribute its almost 30 percent return on sales to shareholders or invest in the product. At the time, the trade fair companies achieved a return of 10%, which was invested in infrastructure for years. This can already be seen as an imbalance. Our advice: invest in formats, customer relations and market knowledge, the concrete will last for a while longer.


«There are completely different competitors playing along.

It certainly won't hurt to keep a close eye on them.»


Are trade fairs now becoming irreversibly hybrid? Will trade fair companies be overtaken by IT companies?

Hybrid is hot, of course. It is not yet clear whether the heat comes from a sparkler or a coal nugget. Recent experience clearly shows that digital events are very costly, with very modest returns so far. At the moment everyone still understands «hybrid» to mean something different. We see a magic triangle: the whole thing only makes sense if there are solutions for 365/24/7 in addition to physical and digital events. And this is where completely different competitors come into play. It's not really clear yet, but it certainly can't hurt to pay close attention.


How do you rate existing digital extensions of trade fairs?

We are convinced that a business model will be shipwrecked without the element of a digital meeting place. The enormous effort put in by organisers and exhibitors because of a few days a year will become increasingly difficult to justify in the future. A digital meeting place is not only the ideal place to distribute the content created at a trade fair in new channels and thus multiply it. It is also a contemporary and future-oriented medium for clever business:to:business marketing. Content has what it takes to provide the spice for the previously shaky business model of hybrid events in terms of the target groups' willingness to pay. But it will still take a while before it is possible to sustainably open up this business field with content.


Please finish the following sentence: «When we hear «hybrid fairs», ...

... we have the desire and lots of ideas to make it a success together with organisers and their interest groups!


Answers: Juliane Jähnke | Interview: Urs Seiler


Translated from German language with www.DeepL.com


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