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«Die Gesellschafter deutscher Messegesellschaften verstecken sich hinter Beratungsfirmen!»

English below. Neue Messeformate jenseits von Digitalität braucht das Land. Aber jetzt und nicht irgendwann! Messemacher Björn Kempe spricht für smartville.digital Klartext zur Zukunft der Messewirtschaft. Interview in zwei Folgen.



by Björn Kempe, Shanghai und Berlin* | 19. Januar 2022


In Kürze

«Warum keine Spezialmessen schaffen,

ohne dabei die Mutterveranstaltung zu gefährden?»


«Messen in Mailand, Holland und Hamburg zeigen,

dass lokale Messekonzepte voll im Trend liegen.»


«Es gibt viel dringender Themen als digitale Transformation.»


«Ich bin über die Starrheit der großen Messeplätze erschrocken!



Björn Kempe, wir sehen jetzt, im Januar 2022, einen erneuten quasi-Lockdown, der die Messewirtschaft in Deutschland zum Stillstand bringt. Mit welchen irreversiblen Konsequenzen?

Ich glaube mit der Konsequenz, dass Deutschland nun endgültig die Weltposition in dieser Industrie eingebüßt hat, während Russland, England, USA und die Vereinigten Arabischen Emirate sehr erfolgreich Messen durchgeführt haben und ihre Marktposition international stärken konnten. Ferner glaube ich ebenfalls an einen Verlust einiger Verbandsmessen. Ich bin mir nicht sicher, ob Verbände wie die IDS versuchen, ihre Messe neu zu lancieren. Auch in Basel sind einige Messen der MCH Group verloren gegangen.


Was ist der Schaden? Oder siehst Du an gewissen Orten, dass die Zeit für eine Neuorientierung genutzt wird?

Es könnte auch still und heimlich ein Messesterben eingesetzt haben! Ganz nach dem Slogan: Stell Dir vor, es ist Messe – und keiner geht hin! Wenn Messen zwei oder drei Mal abgesagt worden sind, wird es schwer werden, die alten Konzepte und Titel wieder aufzulegen.


Das ist sehr schade, da Messen wie die Messe Essen, Leipziger Messe, Messe Friedrichshafen und zum Teil auch die Messen in Mailand, Holland und Hamburg zeigen, dass lokale Messekonzepte voll im Trend liegen und sehr erfolgreich sein können. Man hätte sich also im Jahr drei der Pandemie durchaus mal mit total neuen Themen auseinander setzen können wie zum Thema «Business to Consumer» oder das Thema «Trennung von operativem und Vermietungsgeschäft.»


Ansätze könnten sein: Anstatt die Reisemesse ITB immer international auszurichten, hätten die Veranstalter doch eine neuen ITB-regional lancieren können, um regionale Reiseanbieter und Ziele vorzustellen. Die Stuttgarter Messe CTB zeigt ja sehr gut, wie das funktioniert. Die ITB würde an lokalem Profil gewinnen und international nicht verlieren. Wenn die Pandemie vorbei ist, könnten die große ITB und die kleine regionale Ausgabe gemeinsam laufen.


Ähnlich sehe ich das bei der Medizinalmesse Medica in Düsseldorf - sie hat zwar physisch stattgefunden, aber massiv kleiner im Verhältnis zu pre-Covid. Hier hätte man eine Medica-Lab oder Medica-BioTech auf den Plan rufen können, die sich ganz speziell um die Pandemie kümmert.


Selbst die Messe Erfurt war mit der Pandemie Messe schneller als der Marktführer Medica. Warum also nicht Spezialmessen schaffen, die auf Regionalität setzen, ohne dabei die Mutterveranstaltungen, die durch die Pandemie nicht stattfinden können, zu gefährden.



Alles spricht jetzt, seit Covid-19, von der Notwendigkeit der digitalen Transformation der Messewirtschaft. Als ob das so einfach wäre! Meiner Meinung nach gibt es dringendere und wichtigere Themen, um die sich die Messewirtschaft jetzt kümmern sollte. Wie beurteilst Du das?

Absolut - da bin ich Deiner Meinung! Der Hype um Eventtechnologie und um Digitalisierung ist längst vorbei. Jeder weiß was geht und was nicht. Es hat sich gezeigt, dass sich selbst mit den besten Hard- und Softwaresystemen eben nur 20 bis 30 Prozent der BesucherInnen und Aussteller gewinnen lassen und das bei viel weniger Umsatz.


Warum haben die internationalen Marktführer wie Reed und Informa das Thema schon längst über Bord geworfen? Richtig – weil es viel dringendere Themen gibt. Wenn man sich hier die internationale Konkurrenz ansieht, dann wird man schnell feststellen, dass Reed und Informa sich um den Aufbau von Communities spezialisieren durch den Zukauf von Spezialmessen und Internetcommunities.


Braucht die Messewirtschaft überhaupt neue Formate?

Ja und zwar jetzt und nicht irgendwann! Die Beispiele für solche erfolgreiche Konzepte sieht man in Essen, Leipzig, Friedrichshafen, Caravan Düsseldorf. Einfacher geht es doch nicht - man sieht genau was läuft. Warum macht Berlin keine Kochmesse für Konsumenten, warum macht Frankfurt keinen Design Bazaar? Es gibt unendlich viele Möglichkeiten. Auch die Trendset in Hamburg hat im Januar 2022 gezeigt, dass Messen, auch während Covid-19 noch nicht ausgestanden ist, funktionieren können.


Ist Digitalität der Weg zur Transformation? Der anerkannte Messe-Experte Jochen Witt sagt, digitale Messen seien wie eine digitale Dusche. Wie beurteilst Du das?

Ich bin immer kritisch mit solchen Aussagen, aber da hat er recht. Es gibt nicht den einzigen Weg. Messen haben aus meiner Sicht den Zenit überschritten, aber es gibt noch viele Möglichkeiten für ein profitables Geschäft.


Aussteller und Besucher erwarten wieder reale physische Treffen und Gespräche. Messen werden erst digital ersetzt werden können, wenn sich Hardware und Software um Lichtjahre weiterentwickelt haben. Diese können erst durch fortschrittliche Technologien wie Hologramme ersetzt werden. Aber es wird noch 10 bis 15 Jahre dauern, bis wir nicht mehr mit Videokacheln kommunizieren müssen.


Solange Bildschirm und Videokacheln vorherrschen oder unhandliche AI-Brillen die Technik ausmachen, werden Messen sehr erfolgreich und beliebt sein. Ufi hat da schon recht mit ihren fünf Wegen in die Zukunft. Wir müssen wieder zu den Ursprüngen und unseren Kunden noch besser zuhören. Wenn wir unsere Communities erfolgreich verstehen und betreiben, klappt auch das Messegeschäft.


Wie lange dauert es noch, bis die großen Messeplätze umstrukturieren respektive dramatisch abbauen müssen?

Mittlerweile traue ich mir bei dieser Frage keine Antwort mehr zu. Vor zwei Jahren hätte ich gedacht, das sei ein Zeitraum von höchstens ein bis zwei Jahre. Ich bin über die Starrheit und Veränderungsresistenz der großen Messeplätze erschrocken und denke, dass das unendlich lange so weiter gehen wird.


Die Gesellschafter vieler deutscher Messegesellschaften haben sich hinter großen Beratungsfirmen versteckt, um Digitalisierung und Konsolidierung, aber auch Umstrukturierung voranzutreiben. Allerdings oft nur halbherzig, bisher haben immer noch sehr viele Gesellschaften keine Trennung von operativem und Vermietungsgeschäft. Viele Messen haben auch noch die gleichen, antiquierten Geschäftsbereiche wie vor der Pandemie mit einer ähnlich hohen Zahl an BereichsleiterInnen. Was ich gut finde, dass die meisten Messeplätze jetzt eine sehr schlanke Geschäftsführung haben mit nur noch zwei oder drei Vorständen - das reicht.


Einen weiteren, maßgebenden Abbau wird es nicht geben, aber ich frage mich immer wieder, warum jede Messegesellschaft eine sehr kostenintensive IT-Abteilung haben muss. Das würde durch eine deutschlandweite oder landesweite Gesellschaft viel besser gehen. Leider herrscht ganz oft noch der Föderalismusgedanke in den deutschen Messen fest, obwohl man, wie die Landesmesse Stuttgart zeigt, durchaus erfolgreich landesübergreifend erfolgreich zusammenarbeiten kann.


*Björn Kempe ist Gründer und Inhaber von ExposGlobal und lebt in Shanghai und Berlin. Die zweite Folge des Interviews folgt in Woche 5.


Interview: Urs Seiler.


Take Outs

Buchneuerscheinung - The Future of Exhibitions, Events & Congresses by Bjoern Kempe.




-------- English --------


«The owners of German trade fair companies are hiding behind consulting firms!»


We need new trade fair formats beyond digitality. But now, not sometime! Björn Kempe speaks plain language for smartville.digital about the future of the trade fair industry. Interview in two parts.



by Björn Kempe, Shanghai und Berlin* | 19 January 2022


Björn Kempe, we are now in January 2022 and see another quasi-lockdown that will bring the trade fair industry in Germany to a near standstill. With what irreversible consequences?

As a consequence, I believe that Germany has finally lost its world position in this industry, while Russia, England, the USA and the United Arab Emirates have been very successful in holding fairs and have been able to strengthen their market position internationally. Furthermore, I also believe in a loss of some association fairs. I am not sure if associations such as IDS will relaunch their trade fairs. In Basel, too, some exhibitions of the MCH Group have been lost.


What is the damage? Do you see in certain places that the time is being used for a reorientation?

It could also be that a trade fair death has quietly set in! Just like the slogan: Imagine it's a trade fair - and nobody goes! When a fair has been cancelled two or three times, it will be difficult to relaunch the old concepts and titles.


This is a great pity, as fairs such as Messe Essen, Leipziger Messe, Messe Friedrichshafen and to some extent also the fairs in Milan, Holland and Hamburg show that local fair concepts are very much in vogue and can be very successful. So in year three of the pandemic, one could have dealt with completely new topics such as «business to consumer» or the topic of «separation of operative and rental business.»


Approaches could be: Instead of always organising the ITB travel trade show internationally, the organisers could have launched a new ITB-regional to present regional travel providers and destinations. The Stuttgart trade fair CTB shows very well how this works. The ITB would gain in local profile and not lose internationally. When the pandemic is over, the big ITB and the small regional edition could run together.


I see a similar situation with the Medica medical fair in Düsseldorf - it did take place physically, but massively smaller in relation to pre-Covid. A Medica-Lab or Medica-BioTech could have been set up here to deal specifically with the pandemic.


Even Messe Erfurt was faster with the Pandemic Fair than the market leader Medica. So why not create special fairs that focus on regionality without jeopardising the parent events that cannot take place due to the pandemic.


Everybody is talking now, since Covid-19, about the need for digital transformation of the exhibition industry. As if that were so simple! In my opinion, there are more urgent and important issues that the trade fair industry should be addressing now. What do you think about that?

Absolutely - I totally agree! The hype about event technology and digitalisation is long over. Everyone knows what works and what doesn't. It has been proven that even with the best hardware and software systems, only 20 to 30 per cent of visitors and exhibitors can be won over, and that with much lower turnover.


Why have the international market leaders such as Reed and Informa long since jettisoned the topic? Correct - because there are much more pressing issues. If you look at the international competition here, you will quickly see that Reed and Informa specialise in building communities by buying up special trade fairs and internet communities.


Does the trade fair industry need new formats at all?

Yes, but now! The examples of such successful concepts can be seen in Essen, Leipzig, Friedrichshafen, Caravan Düsseldorf. It couldn't be simpler - you can see exactly what's going on. Why doesn't Berlin do a consumer cooking fair, why doesn't Frankfurt do a Design Bazaar? There are endless possibilities. Trendset in Hamburg in January 2022 also showed that trade fairs can work, even while Covid-19 is not yet over.



Is digitality the path to transformation? The renowned trade fair expert Jochen Witt says that digital trade fairs are like a digital shower. What do you think of that?

I am always critical of such statements, but he is right. There is not one single way. In my view, trade fairs have passed their zenith, but there are still many opportunities for a profitable business.


Exhibitors and visitors expect real physical meetings and conversations again. Trade fairs will only be able to be replaced digitally when hardware and software have advanced light years. These can only be replaced by advanced technologies like holograms. But it will take another 10 to 15 years before we no longer need to communicate with video boxes.


As long as screens and video boxes dominate or bulky AI-glasses make up the technology, trade fairs will be very successful and popular. UFI is right with her 5 Trendfs to Watch In 2022. We have to go back to the roots and listen to our customers even better. If we understand and operate our communities successfully, the trade fair business will also work.


How long will it be before the big trade fair venues have to restructure or dramatically downsize?

I am no longer confident to answer this question. Two years ago, I would have thought it was a period of one to two years at the most. I'm shocked at the rigidity and resistance to change of the big trade fair venues and think that this will continue indefinitely.

The shareholders of German trade fair companies have hidden behind large consulting firms in order to push ahead with digitisation and consolidation, but also restructuring. However, often only half-heartedly, until now very many companies still do not have a separation of operational and rental business. Many trade fairs also still have the same antiquated business divisions as before the pandemic with a similarly high number of divisional managers. What I find good is that most fairgrounds now have a very lean management with only two or three board members - that's enough.


There will be no further significant cutbacks, but I always wonder why every trade fair company has to have a very cost-intensive IT department. This would be much better done by a Germany-wide or state-wide company. Unfortunately, the idea of federalism still very often prevails at German trade fairs, although, as Messe Stuttgart shows, it is quite possible to cooperate successfully across the country.


*Björn Kempe is the founder and owner of ExposGlobal and lives in Shanghai and Berlin.


Take Outs

Book release by Björn Kempe: - The Future of Exhibitions, Congresses and Events.



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