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«Ganzheitliche Erlebnisse sind nicht digitalisierbar»

Das Messebau-Traditionsunternehmen Holtmann hat mit einem «Hybrid Space» sein Kerngeschäft erweitert. CEO Jörg Zeißig schildert in einem bemerkenswerten Interview sein Modell, wie es jetzt mit Messen weiter geht. English below.


by Jörg Zeißig | 24. November 2020

Guten Tag Herr Zeißig. Was treibt Sie zur Zeit am meisten um und lässt Sie nicht schlafen?

Am meisten hat mich umgetrieben, dass im März, April dieses Jahres ein gefühltes Kommunikationsvakuum entstand. Gespräche fanden nicht mehr in der gewohnten Art als Begegnung statt und Alternativen waren fremd, da die meisten Menschen in der Messewirtschaft annahmen, dass die Pandemiewelle schnell wieder verschwinden würde. Das war aus heutiger Sicht eine Fehlannahme. Aber die aktuelle Situation in Sachen Messen ist seit acht Monaten unverändert schwierig. Wir haben uns daran gewöhnt und darauf eingestellt. Deshalb wäre es schlimm, davon nicht schlafen zu können.


«Wir müssen lernen, hybride Formate

zu denken und vor allem zu üben.»


Holtmann hat auf die neuen Herausforderungen in der Messewirtschaft mit dem «Showroom für hybride Kommunikationslösungen» Hybrid_Space reagiert. Was ist ein hybrider Raum und was leistet er für die Holtmann-Kunden?

Messen sind ein besonderes Format in der Live Kommunikation. Dieses ist nicht einfach zu ersetzen durch virtuelle oder digitale Tools. Das hat nichts mit einem Festhalten an der alten Realität zu tun. Ganzheitliche Erlebnisse, die alle Sinne simultan bedienen, sind digital oder virtuell nicht bedienbar, selbst wenn es hochimmersive technische Lösungen gibt.

Wir sind der Meinung, dass die uns alle beschäftigende Live-Kommunikation die Basis erfolgreicher Kommunikation ist, die wir allerdings digital erweitern beziehungsweise verlängern müssen, um die fehlende Reichweite zu kompensieren. Wir müssen also lernen, hybride Formate zu denken und vor allem zu üben. Genau dafür haben wir einen – wenn Sie so wollen – Konzept-Showroom gemeinsam mit unserem Partner der ICT AG eingerichtet, um beide Elemente zu verschmelzen.

Wir ermöglichen damit unseren Kunden, alle Kommunikationssituationen mit parallelem Publikum physisch und digital zu erfahren. Story, Drehbuch und Umsetzung inklusive Regie kommen von uns. Für unsere Kunden können wir «Kommunikation von morgen» und damit ein Stück Zukunft bereits heute erlebbar machen.


«Unsere Geschäftsmodelle verändern sich natürlich drastisch.»

Lässt sich mit dem Hybrid Space Wertschöpfung generieren oder wird hybrid einfach ein notwendiger Aufwandposten für die eventtreibende Wirtschaft bleiben? Werden hybride Messeverlängerungen überleben oder wieder verschwinden, wenn wir wieder zur «guten alten Zeit» zurückkehren?

Hybrid ist nichts Anderes als eine Mischform verschiedener Elemente der Kommunikation. Der Mix wird sich anhand sich verändernder Parameter und Zielgruppen immer dynamisch entwickeln. Daher wird Wertschöpfung im Sinne von Handwerk oder Konzeption in jedem Fall generiert.

Unsere Geschäftsmodelle verändern sich damit natürlich drastisch. Die Verwendung von Marketingbudgets allerdings auch. Wir werden mit unseren Kunden den Bedarf zukünftiger Kommunikation mit deren Kunden analysieren und den idealen Mix der Formate und Ausspielkanäle finden, um Botschaften physisch und digital im Ziel zu platzieren. Damit verlängern sich bisher zeitlich begrenzte exklusive Live-Erlebnisse und einzigartige Momente werden digital teilbar und zeitlich mehrfach verwertbar.

Da diese neue Art der Kommunikation mit physischen oder digitalen Elementen, egal in welcher Proportion, bleiben wird, gehen wir in Richtung einer neuen, guten Zukunft. Der «guten alten Zeit» werden wir nicht nachtrauern dürfen, da diese so nicht mehr wiederkommt. Covid-19 hat unseren Wandel, den Wandel der Branche inklusive der Digitalisierung derart beschleunigt, dass es aus meiner Sicht kein Zurück in die alte Normalität geben wird.


«Um kleinere, austauschbare Messen mache

ich mir Sorgen, dass die keiner mehr braucht.»


Kann ein klassischer Messebauer «digital» respektive «hybrid» oder braucht es da nicht völlig neuartige Kompetenzen?

Ja und Nein. Digitale Formate müssen zwar kein großes Fernsehen sein. Aber sie benötigen schon einen Drehbuchautor zur Inszenierung einer professionellen Story. Ein Messebauunternehmen kann das wohl nicht allein, aber es kann sich einen Partner suchen. Die Nachfrage verhält sich wie im Kino: wenn ein Film gut ist, ist der oder die BesucherIn gerne bereit, 20 Euro Eintrittsgeld zu bezahlen. Aber wo das nicht der Fall ist, macht der Kunde nicht mehr mit.

Deutlich mehr Gewicht in einer digitalen respektive hybriden Inszenierung erhält deshalb Storytelling und das Inszenieren dieser Story. Es muss sich insgesamt gut anfühlen, sonst spielen die Menschen nur bedingt mit. Das ist die Herausforderung für Messeveranstalter. Wir müssen Erlebnisse für verschiedene Zielgruppen skalierbar abbilden und zu einer Gesamtstory zusammenführen. Die ganz großen, die eine entsprechende Kompetenz und Markenstärke haben oder entwickeln können, schaffen das ganz sicher. Die berühmten Weltleitmessen, die sicherlich kontinentaler werden, haben diese Kraft für Markeninszenierungen, aber um kleinere, austauschbare Messen mache ich mir Sorgen, dass die keiner mehr braucht.

Messen werden weiterhin gebraucht, wobei sie nicht mehr nur vom Vermieten von Quadratmetern leben, sondern von einer Story. Wenn die ankommt, ist ihre Anziehungskraft groß und ich kann sie als Messedienstleister auch monetarisieren.


«Zurück zu 100 Prozent analog sehe ich persönlich nicht.»


Fachleute prognostizieren, dass in der Schweiz ein Viertel bis ein Drittel aller Messen verschwinden werden. Wie beurteilen Sie die Situation für Deutschland?

Der Wandel in der Live-Kommunikation im Allgemeinen wird bei Messen im Speziellen nicht halt machen. Messen sind und bleiben hoch effiziente Marketing- und Kommunikationsplattformen. Die Art der Kommunikation und die Kreation von Erlebniswelten wird das Format Messe sicherlich inhaltlich beeinflussen. Hybride Kommunikationsformate werden auch auf Messen umgesetzt werden.

Welche Messen nicht mehr oder in anderer Form stattfinden, wird der Markt – also der Kunde – entscheiden. Unser Job und unsere Chance ist es, die Kundenbedürfnisse zu erkennen und zu begleiten. Dann sind wir als Branche in der Lage, jede Möglichkeit mit physischer Präsenz und digitaler Erweiterung zu bedienen. Zurück zu 100 Prozent analog sehe ich persönlich nicht.


Wenn Messen im Marketing eine rückläufige Bedeutung hätten, müsste die werbetreibende Wirtschaft ja Alternativen kennen. Inwiefern sind solche Alternativen am Horizont sichtbar?

Wer sagt, dass Messen im Marketingmix nachhaltig rückläufig sind? Das sehe ich nicht so.


Wir hören immer wieder, dass Aussteller unbedingt wieder an Messen teilnehmen möchten, weil ihnen ein wichtiger oder der wichtigste Verkaufspunkt fehlt. Was hören Sie?

Das hören wir auch, das ist ganz klar. Nur zur Zeit kann uns keiner, weder ein Aussteller, noch ein Messeplatz oder ein Messeveranstalter sagen, wo sich der Tipping Point in der Wahrnehmung der Menschen, was ihre Sicherheit betrifft, befindet. Das heißt, bei welchen Teilnehmerzahlen sich ein Gast beginnt, unwohl zu fühlen und das Fass zum Überlaufen kommt. Im Zweifelsfall kommen Aussteller und oder Besucher nicht. Keiner kann die Verantwortung für die Einschätzung, wo die Komfortzone für den Besucher liegt und wo sie aufhört, übernehmen. Also wird es darum gehen, mit Messen langsam wieder zu starten und zum heutigen Zeitpunkt Reichweite überproportional digital herzustellen. Je früher jetzt eine Impfung kommt, desto höher wird der Tipping Point liegen. Bis dahin werden wir uns wohl oder übel hauptsächlich im digitalen Raum bewegen müssen. Genau aus diesem Grund glauben wir an hybride Veranstaltungsformate, die bereits heute funktionieren und geübt werden können, um sie baldmöglichst zu dem dann entstehenden «New Now» zu transformieren.


Mit Expomondo ist Holtmann auch auf Weltausstellungen tätig. Was ist denn Ihre Prognose zur Expo Dubai 2021 – kommt sie? Was vermag eine Weltausstellung für die heutige, durch Covid geprägte Zeit leisten?

Eine Expo wird stattfinden. Die Frage, ob eine Anpassung der Stories der einzelnen Beteiligungen notwendig ist, müssen die einzelnen Betreiber entscheiden. Sicherlich wird digital an der einen oder anderen Stelle noch nachgebessert werden. Grundsätzlich hat sich das Motto «Connecting Minds, Creating the Future» keineswegs überholt. Menschen miteinander zu verbinden ist zentrales Element der Kommunikationsbranche. Hierzu kann und wird die Expo in Dubai ihren Beitrag leisten.


Bitte beenden Sie den folgenden Satz: «Wenn bis am 31. Juli 2021 in Deutschland keine Messen, Ausstellungen und Events stattfinden würden, dann wird Holtmann ...

... ab dem 1. August 2021 auch wieder Dienstleistungen für Messen sichtbar erbringen und bis dahin Veranstaltungsformate vorbereiten sowie einige neue erfrischende Geschäftsfelder am Markt etabliert haben.»


Mit Jörg Zeißig übernahm am 1. Januar 2019 ein Messeprofi, der über internationale Erfahrung und Digitalisierungskompetenz verfügt, als CEO die Leitung von Holtmann. Holtmann Messe + Event ist einer der ältesten Messedienstleister der Branche. Walter und Wilhelm Holtmann gründeten das Unternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg und arbeiteten auf der ersten Messe 1947 in Hannover. Holtmann beschäftigt 135 Mitarbeitende und verzeichnet einen Umsatz von 39 Millionen Euro. Der Hybrid Space über 400 Quadratmeter in Langenhagen verbindet als Erlebniswelt die reale und digitale Welt der Holtmann Kunden.


Interview: Urs Seiler


-------- English --------


«All-around experiences cannot be digitized»


Holtmann, a company with a long tradition in exhibition stand construction, has expanded its core business with a «Hybrid Space». In a remarkable interview, CEO Jörg Zeißig describes his model of how trade fairs will now continue.


by Jörg Zeißig | 24 November 2020

Hello Mr Zeißig. What is your major concern at the moment and does not let you sleep?

What concerns me the most is that in March, April of this year a subjectively felt communication vacuum arose. Conversations no longer took place in the usual way face to face and alternatives were weird, as most people in the trade fair industry assumed that the pandemic wave would quickly disappear again. From today's perspective, this was a false assumption. But the current situation with regard to trade fairs has remained difficult for the past eight months. We have become accustomed to it and have adjusted to it. That's why it would be awful not to be able to sleep from it.


«We need to learn to think in terms of hybrid formats

and above all to practise them.»


Holtmann has responded to the new challenges in the trade fair industry with the Showroom for hybrid communication solutions «Hybrid_Space». What is a hybrid space and what does it do for Holtmann’s customers?

Trade fairs are a special format in live communication. It is not easy to replace it with virtual or digital tools. This has nothing to do with clinging to the old reality. All-round experiences that serve all senses simultaneously cannot be operated digitally or virtually, even if highly immersive technical solutions are available.

We believe that the live communication that occupies us all is the basis of successful communication, but we must digitally expand or extend it to compensate for the lack of reach. So we have to learn to think and, above all, practice hybrid formats. This is precisely why we have set up a concept showroom - if you will - together with our partner ICT AG, in order to merge both elements.

We thus enable our clients to experience all communication situations with parallel audiences physically and digitally. Story, script and realization including direction are provided by us. For our clients we can make «communication of tomorrow» and thus a piece of the future tangible today.


«Our business models are of course changing drastically.»

Can your hybrid space add revenues or is it just a necessary expense for the event-driven industry? Will hybrid trade fair extensions survive or disappear again when we return to the «good old days»?

Hybrid is nothing other than a mixture of different elements of communication. The mix will always develop dynamically based on changing parameters and target groups. Therefore, value creation by means of craft or conception will always be generated.

Our business models will of course change drastically as a result. But so does the use of marketing budgets. We will work with our clients to analyse the needs of future communication with their customers and find the ideal mix of formats and delivery channels to place messages physically and digitally on target. In this way, exclusive live experiences, which have been limited up to now, will be extended and unique moments will be digitally divisible and reusable over time.

As this new way of communication with physical or digital elements will remain, no matter in what proportion, we are heading towards a new, good future. We must not lament about «the good old days» because they will never come back. Covid-19 has accelerated our change, the change of the industry including digitalization to such an extent that in my opinion there will be no return to the old normality.


«I’m worried for smaller, nice to have trade fairs.

I'm worried that no one will need them anymore.»


Can a classic booth builder manage «digital» or «hybrid» or does it need completely new skills?

Yes and no. Digital formats don't have to represent great television experiences. But they do need a screenwriter to stage a professional story. An exhibition stand constructing company probably can't do it alone, but it can look for a partner. The demand is like in the cinema: if a film is good, the visitor is willing to pay an entrance fee of 20 euros. But where this is not the case, the customer does not want to participate.

Therefore, storytelling and the staging of this story is given considerably more weight in a digital or hybrid production. It must feel good overall, otherwise people will only play along to a limited extent. That is the challenge for trade fair organizers. We have to depict experiences for different target groups in a scalable way and combine them into an overall story. The really big fair organisers, those who have or can develop the appropriate competence and brand strength, will certainly manage to do this. The world's famous leading trade fairs, which are no doubt becoming more continental, have this power for brand staging, but I'm worried about smaller, not nice to have trade fairs, that nobody wants them anymore.

Trade fairs are still needed, whereby they no longer live from renting square meters, but from a story. When that story is catching, its appeal is great and trade fair service providers can monetize it.


«Personally, I don't see a way back to 100 per cent analog.»


Experts predict that a quarter to a third of all trade fairs in Switzerland will disappear. How do you assess the situation in Germany?

The change in live communication in general will not stop at trade fairs in particular. Trade fairs are and remain highly efficient marketing and communication platforms. The type of communication and the creation of worlds of experience will certainly influence the trade fair format in terms of content. Hybrid communication formats will also be implemented at trade fairs.

The market, i.e. the customer, will decide which trade fairs are no longer held or are held in a different form. Our job and our chance is to recognize and fulfil the customer needs. Then we as an industry are able to serve every possibility with physical presence and digital expansion. Personally, I don't see a way back to 100 per cent analog.


If trade fairs had a declining significance in marketing, the advertising industry would have to present alternatives. To what extent are such alternatives visible on the horizon?

Who says that trade fairs are declining in the marketing mix? I do not see it that way.


We hear again and again that exhibitors are very keen to participate in trade fairs again because they are missing an important or the most important point of sale. What do you hear?

We hear that too, that's quite clear. Only at the moment, no one, neither an exhibitor, nor a trade fair venue, nor a trade fair organizer can tell us where the tipping point is in people's perception of their safety. In other words, at what number of participants a guest starts to feel uncomfortable. In case of doubt, exhibitors and/or visitors will not attend. No one can take responsibility for estimating where the comfort zone for the visitor lies and where it ends. So it will be a question of slowly restarting with trade fairs and, at the present time, establishing a disproportionately high digital reach. The earlier a vaccination is ready now, the higher the tipping point will be. Until then, for better or worse, we will have to move mainly into digital space. This is precisely why we believe in hybrid event formats that already work and can be practiced today, in order to transform them as soon as possible into the «new now» that will then emerge.


With Expomondo Holtmann is also active at world exhibitions. What is your forecast for Expo Dubai 2021, 2022 - is it happening? What can a world exhibition achieve for today's Covid-influenced times?

The Expo will take place. The question of whether an adjustment of the stories of the individual participations is necessary must be decided by the individual operators. Surely there will be digital improvements in one or the other place. In principle, the motto «Connecting Minds, Creating the Future» has by no means become obsolete. Connecting people with each other is a central element of the communications industry. The Expo in Dubai can and will make its contribution to this.


Please finish the following sentence: «If no trade fairs, exhibitions and events are held in Germany, say until July 31, 2021, Holtmann will ...

... visibly provide services for trade fairs again from August 1, 2021, and will have prepared event formats and established some new and refreshing business segments on the market by then.


Jörg Zeißig, a trade fair professional with international experience and digitization expertise, took over as CEO of Holtmann on January 1, 2019. Holtmann Messe + Event is one of the oldest trade fair service providers in the industry. Walter and Wilhelm Holtmann founded the company after the Second World War and worked at the first trade fair in Hanover in 1947. Holtmann employs 135 people and has a turnover of 39 million Euros. The 400 square meter Hybrid Space in Langenhagen combines the real and digital worlds of Holtmann customers as a world of experiences.


Interview: Urs Seiler


Translated from German with deepl.com

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