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«Im Live-Marketing vollzieht sich ein tiefgreifender Wandel»

«Ich werde sicher auch in fünf Jahren noch auf Messen gehen. Aber für mich ist das Live-Erlebnis und die digitale Erfahrung überhaupt keine Entweder-Oder-Entscheidung.» Gedanken von der Generation Z. English below.


by Vincenz Hinte* | 22. April 2021


Vincenz Hinte, wie viel Zeit pro Tag verbringst Du auf dem Handy? Wieviel Zeit auf sozialen Netzwerken und wie viel Zeit verbringst Du mit der Printlektüre von Zeitungen und Bücher?

Print, was ist das? Nein, im Ernst: Zeitungen und Bücher lese ich zu 90 Prozent auf meinem Smartphone oder Laptop. Bei den sozialen Netzwerken bin ich privat vor allem auf Instagram. Das ist für mich als film- und fotoaffiner Mensch das schönste und ausdrucksstärkste Medium.


Für Businesskontakte nutze ich überwiegend LinkedIn. XING ist nur noch der Vollständigkeit halber dabei. Seit einiger Zeit höre ich zunehmend Podcasts, was die Nutzungszeit meines Smartphones nochmals gesteigert hat. Die private und berufliche Kommunikation über Messenger-Dienste spielt eine große Rolle. Grob geschätzt bin ich täglich rund fünf Stunden mit dem Smartphone unterwegs. Die meiste Zeit nutze ich das Smartphone allerdings nur nebenher und es hat nicht meine exklusive Aufmerksamkeit.


Wo siehst Du die größten Unterschiede im Medienverhalten von Dir respektive der Millennial-Generation im Vergleich zu der Generation Deiner Eltern?

Da hat sich schon vieles geändert! Meine Eltern nutzen noch lineares Fernsehen und mein Vater liest noch «richtige» Zeitungen, mit denen man anschließend den Kamin anfeuern kann. In meiner Generation wird nur noch selten klassisches Fernsehen geschaut. Vielmehr dominieren Streamingdienste wie Netflix oder Primevideo von Amazon.


News werden fast ausschließlich über Onlinedienste empfangen. Das sind dann bekannte Medien wie der SPIEGEL oder der Südwestrundfunk SWR. Die wesentlichen Infos kommen meist schneller bei uns an. Allerdings sind Onlinemedien insgesamt etwas oberflächlicher. Ich denke, bei den Millennials ist die Geschwindigkeit höher, die Menge größer aber der Umfang des einzelnen Beitrags eher kürzer geworden. Auch spielen Videos bei der Generation Z eine größere Rolle – Stichwort «Snackable Content» (Zwischenverpflegung), was wiederum den Trend der Streaming Anbieter unterstützt. Unter dem Strich ist mit diesem Nutzungsverhalten fast zwangsläufig eine größere Flüchtigkeit verbunden.


LinkedIn sagt, Kaltakquise sei für die jüngere Generation ein Absteller und sie wolle ihre Recherchen über eine Firma zuerst online führen, bevor sie mit einem Verkäufer sprechen will. Wenn Du Dein Medienverhalten betrachtest: wie würdest Du es beschreiben in Bezug auf geschäftliche Kontakte und das berühmte Netzwerken?

Das kann ich für meine Person bestätigen. Bevor ich einen persönlichen Kontakt mache, habe ich mich online informiert. Die Möglichkeiten, die beispielsweise LinkedIn für Recherche bietet, sind für mich wertvoll. Ich würde behaupten, man kann über Personen, Firmen oder Produkte ein ganz gutes Gefühl entwickeln, weil man einen Teil des Kontextes mitbekommt und auch sieht, ob beziehungsweise wie ein Unternehmen oder eine Marke auf und mit einer Community interagiert. Ansonsten läuft bei mir viel über Chats, Messenger oder Mails. Telefoniert wird aber gelegentlich auch noch.


Der CEO eines Messeveranstalters sagte einmal: Messen bieten, was die Facebook-Generation sucht. Er nennt das «reale Begegnungen und authentische Erfahrungen». Wie beurteilst Du das?

Live-Events wie Messen oder Festivals empfinde ich schon als etwas Besonderes. Aber das hängt sicherlich auch mit meinem Background zusammen. Für mich ist das Live-Erlebnis und die digitale Experience überhaupt keine Entweder-Oder-Entscheidung. Beides hat seine Bedeutung, wenngleich die digitale Dimension mehr Raum einnimmt und häufig ein Gatekeeper dafür ist, welchem Live-Ereignis sich meine Generation zuwendet oder die Treue hält.


«Ich glaube es vollzieht sich im Live-Marketing

gerade ein tiefgreifender Wandel.»


Sofern man es als Messe-Erlebnis bezeichnen will, habe ich auf der South by Southwest SXSW in Austin/Texas die bisher mit Abstand beste Atmosphäre erlebt und eine super Mischung aus Content, Begegnung, Innovationen und Unterhaltung wahrgenommen. Das ist total unkonventionell und durch die unterschiedlichen Locations auch viel spontaner und überraschender als eine konventionelle Messe, bei der die vorschriftsmäßige Gangbreite und die funktionale Zweckmäßigkeit oft ein wenig langweilig wirken. Übrigens war beim SXSW alles digital hoch integriert und von einer gewaltigen Social Media Interaktion begleitet. Letztes Jahr wollte ich zum OMR, dem «Festival für das Digitale» nach Hamburg, weil ich schon viel davon gehört hatte, aber das ist leider Corona zum Opfer gefallen.


Was das Zitat angeht, so ist das für mich eher ein Versuch eines traditionellen Messe-menschen, das Fähnchen marketingmäßig hochzuhalten. Ich glaube es vollzieht sich im Live-Marketing gerade ein tiefgreifender Wandel. Die persönliche Begegnung wird auch zukünftig bedeutsam bleiben. Wo und wie sie sich darstellen wird, ist im Moment noch nicht ganz klar. Für meine Generation ist jedoch sicher, dass die digitale Einbettung ein zentrales Element sein wird. Es ist in jedem Fall eine spannende Entwicklung.


«Es gilt also herauszufinden, welche Bestandteile einer Veranstaltung

besser digital und welche besser physisch funktionieren.»


Worin besteht für Dich ein Online-Erlebnis? Gibt es so etwas im Vergleich zu einem Erlebnis in Raum und Zeit, an einer Messe, einem Meeting, einem Popkonzert?

Ich bin der Überzeugung, dass man digitale nur sehr schwer mit physischen Erlebnissen vergleichen kann. Beide haben aus meiner Sicht ihre Berechtigung und beide werden sich in Zukunft weiterentwickeln.


Die aktuellen digitalen Formate orientieren sich stark an der TV-Produktion. Diese Form des Erlebens beruht teilweise auf dem Abschalten und Entspannen des Users. Genau das will eine Messe oder ein Kongress natürlich nicht.


Es gilt also herauszufinden, welche Bestandteile einer Veranstaltung besser digital und welche besser physisch funktionieren. Die Lösung hierfür wird ebenfalls eine Mischung sein, bei der die Art der Verbindung dieser beiden Welten elementar sein wird. Ich bin sicher, auch hier wird sich in der Zukunft noch einiges tun.


Was ist für Dich eine authentische Erfahrung: digital oder live? Oder brauchen wir eine neue Sicht auf das, was «live» heute ist?

Ja, ich glaube die Welten verbinden sich zunehmend. Auch auf einem Live-Event ist man mal online und im digitalen Raum gibt es noch wahnsinnig viel Entwicklungspotenzial für Emotionalisierung und Interaktivität. Die zeitliche und räumliche Verfügbarkeit der Digitalität bietet einer Community über Grenzen hinweg ein gewaltiges Access-Potenzial. Auf der anderen Seite ist die Live-Komponente mit viel exklusiverem und sinnlicherem Erlebnis verbunden. Aber die Dinge gehören für mich zusammen und sind keinesfalls Gegensätze.


Was sind Messen und Events, von denen Du sagts «Wow, hier fühle ich mich wohl!, hier fühle ich mich integriert, Teil einer Community»?

Wie gesagt, die South by Southwest, aber auch Formate wie die re:publica in Berlin oder die OMR in Hamburg sind aus meiner Sicht sehr spannend. Ich habe eine Leidenschaft für unkonventionelle Locations und einem lockeren Ablauf mit Elementen der Inszenierung und der Interaktion. Und zwar sowohl digital wie auch analog.


«Vertrieb braucht in den meisten Fällen irgendwann den persönlichen Kontakt.»


Wenn Du fünf Jahre vorausschaust: wirst Du gerne auf Messen gehen? Kann ein Vertrieb ohne Fachmessen funktionieren?

Ich werde sicher auch in fünf Jahren noch auf Live-Messen gehen. Vielleicht sehen die dann aber ganz anders aus und finden ganz woanders statt als wir es bisher kannten.


Vertrieb braucht in den meisten Fällen irgendwann den persönlichen Kontakt. Der ist auf Messen meist sehr effektiv. Daher spricht viel dafür, dass Messen eine wichtige Option bleiben werden.


Aber die Fähigkeit der digitalen Integration zum Beispiel durch Hybridkonzepte, die ihren Namen wirklich verdienen und die Bereitschaft Altbekanntes radikal in Frage zu stellen, halte ich im derzeitigen Anpassungsprozess für elementar. Mal ganz abgesehen davon, was sich in den nächsten Jahren technisch noch entwickeln wird ...


*Vincenz Hinte ist Jahrgang 1998, Student der Dualen Hochschule Baden-Württemberg im Studiengang BWL – Messe-, Kongress- und Eventmanagement bei der AFAG Messen und Ausstellungen GmbH in Nürnberg.


Daneben ist er selbstständig mit JAVI Productions tätig und Co-Founder der LIVELINE CONNECT GmbH in Karlsruhe.



Interview: Urs Seiler


-------- English --------


«A dramatic shift is taking place in live marketing»


«I shall certainly still be going to trade shows in five years. But for me, the live experience and the digital experience is not an either-or-decision at all.» Thoughts from Generation Z from Vincenz Hinte.


by Vincenz Hinte* | 22 April 2021



Vincenz Hinte, how much time per day do you spend on your cell phone? How much time on social networks and how much time do you spend reading newspapers and books in print?

Print, what's that? No, seriously, I read newspapers and books 90 percent of the time on my smartphone or laptop. When it comes to social media, I'm mostly on Instagram in my private life. As a person with an affinity for film and photography, that's the most beautiful and expressive medium for me.


For business contacts, I mainly use LinkedIn. XING is only there for the sake of completeness. For some time now, I have increasingly been listening to podcasts, which has once again increased the amount of time I use my smartphone. Private and professional communication via messenger services plays a major role. Roughly speaking, I spend around five hours a day on my smartphone. Most of the time, however, I just use the smartphone on the side and it doesn't have my exclusive attention.


Where do you see the biggest differences in media behavior between you and the Millennial generation compared to your parents' generation?

A lot has already changed! My parents still use linear television and my father still reads «real» newspapers, which you can use to light the fireplace afterwards. In my generation, people rarely watch traditional TV anymore. Instead, streaming services like Netflix or Primevideo from Amazon dominate.


News is received almost exclusively via online services. These are well-known media such as SPIEGEL or SWR, the Southwest German public broadcaster. The essential information usually reaches us faster. However, online media are somewhat more superficial overall. I think that among Millennials, the speed has increased, the volume has increased, but the length of individual articles has tended to become shorter. Also, videos play a bigger role with Generation Z - keyword «snackable content», which in turn supports the trend of streaming providers. The bottom line is that this usage behavior is almost inevitably associated with greater volatility.


LinkedIn says cold calling is a turn-off for the younger generation, and they want to do their research on a company online first before talking to a salesperson. When you look at your media behavior, how would you describe it in terms of business contacts and networking?

I can confirm that for myself. Before I make a face-to-face contact, I do my research online. The possibilities that LinkedIn offers for research, for example, are valuable for me. I would say that you can develop quite a good feeling about people, companies or products, because you get part of the context and also see whether or how a company or brand interacts with a community. Otherwise, I do a lot of chatting, messengering and emailing. But I still make the occasional phone call.


The CEO of a trade fair organizer once said: «Trade fairs offer what the Facebook generation is looking for». He called it «real encounters and authentic experiences». How do you rate that?

Live events like trade fairs or festivals are something special to me. But that certainly also has to do with my background. For me, the live experience and the digital experience are not an either:or:decision at all. Both have their importance, although the digital dimension takes up more space and is often a gatekeeper for which live event my generation will turn to or remain loyal to.


«I think there's a profound shift

happening in live marketing right now.»


If you want to call it a show experience, I experienced by far the best atmosphere so far at South by Southwest SXSW in Austin/Texas and perceived a super mix of content, meeting, innovations and entertainment. It's totally unconventional and, thanks to the different locations, also much more spontaneous and surprising than a conventional trade show, where the prescriptive aisle width and functional practicality often seem a bit boring. Incidentally, at SXSW everything was highly digitally integrated and accompanied by tremendous social media interaction. Last year I wanted to go to OMR, the «festival for the digital» in Hamburg, because I had heard a lot about it, but that unfortunately fell victim to Corona.


As far as the quote is concerned, I think it's more an attempt by a traditional trade show person to keep the flag flying in terms of marketing. I think there is a profound change taking place in live marketing right now. The personal encounter will remain important in the future. Where and how it will be presented is not entirely clear at the moment. For my generation, however, it is certain that digital embedding will be a central element. It's an exciting development in any case.



«It is a matter of figuring out which components of an event

work better digitally and which work better physically.»


What does an online experience consist of for you? Is there such a thing compared to an experience in space and time, at a trade show, a meeting, a pop concert?

I'm convinced that it's very difficult to compare digital experiences with physical ones. In my view, both have their justification and both will evolve in the future.


Current digital formats are strongly oriented towards TV production. This form of experience is partly based on the user switching off and relaxing. Of course, that's exactly what a trade show or a congress doesn't want.


So it's a matter of figuring out which components of an event work better digitally and which work better physically. The solution to this will also be a mix, where the way these two worlds are connected will be elementary. I'm sure there will be a lot more happening here in the future as well.


What is an authentic experience for you: digital or live? Or do we need a new view of what «live» is today?

Yes, I think the worlds are increasingly connecting. Even at a live event, you're online sometimes, and in the digital space there's still an insane amount of development potential for emotionalization and interactivity. The availability of digitality in terms of time and space offers a community across borders enormous access potential. On the other hand, the live component is associated with a much more exclusive and sensual experience. But for me, the things belong together and are by no means opposites.


What are trade shows and events of which you say «Wow, here I feel comfortable!, here I feel integrated, part of a community»?

As I said, South by Southwest, but also formats like re:publica in Berlin or OMR in Hamburg are very exciting from my point of view. I have a passion for unconventional locations and a loose flow with elements of staging and interaction. And that goes for both digital and analog.


«The sales process needs personal contact at some point in most cases.»


Looking five years ahead, will you enjoy going to trade shows? Can sales function without trade shows?

I will certainly still be going to live trade shows in five years. But maybe they'll look completely different and take place somewhere else than we've known so far.


In most cases, sales needs personal contact at some point. This is usually very effective at trade shows. So there is a lot to suggest that trade shows will remain an important option.


But the ability to integrate digitally, for example through hybrid concepts that really deserve their name, and the willingness to radically question the familiar, is something I consider elementary in the current adaptation process. Quite apart from what else will develop technically in the next few years ...


*Vincenz Hinte was born in 1998, is a student at the Duale Hochschule Baden-Württemberg in business administration - trade fair, congress and event management course at AFAG Messen und Ausstellungen GmbH in Nuremberg.


He is also self-employed with JAVI Productions and co-founder of LIVELINE CONNECT GmbH in Karlsruhe.



Translated from German with deepl.com


Interview: Urs Seiler

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