Am 10. Januar hat mit der Hardware digital die erste digitale Veranstaltung basierend auf der Conteo Plattformtechnologie eröffnet. Matthias Baldinger, Gründer und Geschäftsführer von Conteo, sagt, wie diese funktioniert und wieso er trotzdem Vorbehalte gegenüber virtuellen Messen hat.
by Matthias Baldinger | 11. Januar 2021
«Menschen verhalten sich online ganz anders als offline.»
Herr Baldinger, Sie haben im Sommer 2020 einen Artikel veröffentlicht, in dem Sie virtuelle Messen in Frage stellen. Am 10. Januar 2021 hat mit der Hardware digital die erste digitale Veranstaltung basierend auf Ihrer Conteo Plattformtechnologie eröffnet. Wie erklären Sie diesen Wiederspruch?
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass sich ein Messebesuch nicht einfach virtuell abbilden lässt. Die Vorstellung, dass ein Besucher sich sechs Stunden am Stück vor seinen Computer setzt, Aussteller «besucht», Vorträge hört, sich mit Kollegen austauscht – also so, wie der Besucher auch sechs Stunden auf der physischen Messe verbringen würde – halte ich für unrealistisch. Menschen verhalten sich online ganz anders als offline.
Zudem machen gewisse Dinge, die wichtige Bestandteile physischer Messen sind, online keinen Sinn. Ein Beispiel: Haben Sie jemals den Satz gehört: «Komm wir treffen uns in zwei Monaten auf der virtuellen Messe XYZ»? Nein, denn wieso würde ich zwei Monate warten, um einen Video-Call mit einem bestehenden Kontakt auf einer virtuellen Messe zu machen, wenn ich ihn gleich jetzt aufsetzen könnte?
Wenn es nicht darum geht, den Messebesuch virtuell abzubilden, um was geht es dann bei der Hardware digital?
Messen haben für Besucher und Aussteller eine Vielzahl verschiedener Funktionen. Viele virtuelle Messen versuchen alle diese Funktionen digital abzubilden. Wir sind einen anderen Weg gegangen. Wir haben uns mit unseren Kunden gefragt, bei welchen Funktionen können wir digital einen möglichst grossen Mehrwert für Aussteller und Besucher realisieren und haben nur auf diese fokussiert. Daraus ist ein Konzept entstanden, das sich stark von den gängigen virtuellen Messen unterscheidet und sich auf die Essenz des Formats Messe konzentriert. Gleichzeitig werden viele anderen Funktionen bewusst weggelassen, zum Beispiel Networking-Funktionen, die soziale Netzwerke wie Linkedin & Co. unserer Meinung nach besser abbilden können.
Was meinen Sie mit der Essenz des Formats Messe?
Was macht eine Messe für den Besucher attraktiv? Dass die relevanten Anbieter einer Branche an einem Ort zusammenkommen und ihre Neuheiten, Angebote, Geschichten, Exponate präsentieren. So kann sich der Besucher einfach einen Überblick verschaffen, welche Angebote es gibt und was in der Branche läuft.
Genau dies schaffen wir mit unserer Lösung für digitale Veranstaltungen: einen Ort, wo der Besucher die Neuheiten, Angebote und Geschichten der führenden Anbieter entdecken kann. Die Hardware digital beispielsweise gibt Fachleuten aus der Eisenwaren- und Werkzeugbranche einen Einblick, was im Frühling 2021 in ihrer Branche läuft.
«Der Besucher verbringt immer wieder ein bisschen Zeit auf der Plattform.»
Dabei erwarten wir von den Besuchern nicht, dass sie sechs Stunden am Stück vor dem Computer sitzen. Die Hardware digital ist zwei Wochen geöffnet. Während dieser Zeit kommt der Besucher immer wieder mit der Hardware digital in Berührung und verbringt immer wieder ein bisschen Zeit auf der Plattform. Dies entspricht viel eher der Art, wie Menschen sich im Internet informieren: mal zehn Minuten hier, mal fünf Minuten da, mal ein 15-minütiges Webinar hier, mal ein Live-Stream da.
Zwei Wochen scheint eine lange Zeit für eine Messe. Sind die Aussteller denn bereit, während der ganzen Zeit ihre Stände zu betreuen.
Nein. Müssen sie aber auch nicht. Ich glaube eine Fehlannahme bei vielen virtuellen Messen ist die der Gleichzeitigkeit. Ja, bei physischen Messen sind alle Personen gleichzeitig vor Ort. Digital ist dies anders. Ein grosser Vorteil des Internets ist seine Asynchronität. Ein Besucher kann zum Beispiel einen Beitrag über eine spannende Produktneuheit um acht Uhr abends auf seinem Smartphone lesen, zu einer Zeit, wo beim Aussteller niemand mehr arbeitet, und bei Interesse einen Rückruf anfragen. Dieses Beispiel entspricht viel eher der Art, wie Menschen sich im Internet informieren als die sechs Stunden am Stück vor dem PC.
Für den Aussteller ist dies auch angenehmer. Er muss nicht Mitarbeiter einsetzen, um die Messe zu betreuen und sich ärgern, falls nicht genug Live-Anfragen reinkommen, er kann die Nachrichten und Rückrufanfragen dann bearbeiten, wann es für ihn passt.
Trotzdem: wie schaffen sie es, das Momentum während zwei Wochen aufrecht zu halten?
Hierzu haben wir etwas Neues geschaffen: den Applaus. Während einer physischen Messe findet eine Art «Wettbewerb» zwischen den Ausstellern um die Aufmerksamkeit der Besucher statt. Und gewonnen haben am Schluss die Aussteller, über deren Beiträge - Exponate, Neuheiten - die Branche spricht.
Genau diesen Wettbewerb versuchen wir zu digitalisieren. Hierzu können Besucher den Beiträgen der Aussteller in einer spielerischen Art applaudieren. Während der zwei Wochen wählt so die Branche die beliebtesten Beiträge in verschiedenen Kategorien, welche bei einem live-gestreamten Abschlussevent ausgezeichnet werden.
Für die Aussteller stellt der Applaus ein hervorragendes Instrument zur Lead-Generierung dar, denn sie sehen, welche Besucher für ihre Beiträge applaudieren. Dies sind heisse Leads, um neues Geschäft zu generieren. Gleichzeitig gibt der Applaus den Ausstellern einen Anreiz, ihre Kontakte für die digitale Veranstaltung zu mobilisieren.
Und wie nimmt die Branche diesen Wettbewerb an?
Bisher sehr positiv. Die Aussteller beginnen das Instrument bereits auf andere Arten als angedacht einzusetzen – was ich als positives Zeichen sehe. Ein Aussteller verlost beispielsweise unter allen Besuchern, die für seinen Beitrag applaudieren, ein Ipad. Ich glaube nicht, dass dies reichen wird, um in einer Kategorie zu gewinnen. Aber es ist doch eine Möglichkeit, einfach und niederschwellig Leads zu generieren. Ich würde mich freuen, wenn die UserInnen von smartville.digital sich ein Bild der Hardware digital machen. Hier können sie kostenlos teilnehmen: www.hardware-luzern.ch
Die Erwartungen an digitale Lösungen sind
in allen Lebensbereichen gestiegen, auch bei Messen.
Ihre Lösung für digitale Veranstaltungen scheint gut zu laufen. Wollen Sie überhaupt, dass die physischen Messen zurückkommen?
Unbedingt und ich habe keine Zweifel, dass sie zurückkommen werden. Wenn uns die Pandemie etwas gelernt hat: Menschen wollen sich persönlich und real treffen. Wir alle sind müde von den ewigen Videocalls und dem zuhause rumsitzen. Wir wollen uns wiedersehen und etwas erleben. Das bedeutet aber nicht, dass sich Messen nicht weiterentwickeln müssen. Ich glaube die Erwartungen an digitale Lösungen sind in allen Lebensbereichen gestiegen – so auch bei Messen.
Was denken Sie sind die digitalen Erwartungen an Messen?
Das Informationsverhalten der Besucher ist sich seit einigen Jahren am Verändern. Die Pandemie hat dies nun beschleunigt. Diese Veränderung verlangt von Messeveranstaltern einen Paradigmenwechsel. Bisher habe ich oft die Haltung wahrgenommen, dass Veranstalter den Besuchern nicht zu viel über die Veranstaltung verraten möchten, weil die Besucher sonst ja nicht mehr kommen müssen. Ich glaube heute ist genau das Gegenteil der Fall. Menschen gehen nicht mehr einfach irgendwo hin, sondern sind sich gewohnt, dass sie sich vorab informieren können. Wenn ich mir überlege, Tickets für ein Konzert zu kaufen und ein tolles Video eines Auftritts der Band anschauen kann, führt dies eher dazu, dass ich das Konzert besuche.
Dieses Bedürfnis müssen Messeveranstalter bedienen können. Damit sie dies tun können, müssen sie wissen, was die Aussteller auf ihren Ständen zeigen. Genau hierfür entwickeln wir die Conteo Plattformtechnologie. Auf der Plattform können Aussteller präsentieren, was es an ihren Ständen zu erleben gibt. Und Besucher können basierend auf ihren Interessen spannende Dinge entdecken und gezielt die richtigen Aussteller besuchen.
Die Hardware digital ist eine Veranstaltung der Messe Luzern und Swissavant. Welche Rolle spielt Ihr Unternehmen Conteo?
Wir sind Dienstleister für die Veranstalter, wobei wir die Plattformtechnologie zur Verfügung stellen, diese für die Veranstaltung anpassen und die Aussteller bei der Erstellung ihrer Beiträge betreuen.
Wir kennen verschiedene Formen der Zusammenarbeit mit Veranstaltern, vom reinen Dienstleister-Modell bis hin zu Revenue-Share-Modellen, wo wir das Risiko mittragen. Dies kann insbesondere zur jetzigen Zeit spannend sein, da in einem Revenue-Share-Modell keine Vorab-Investitionen für den Veranstalter entstehen und der Business Case immer positiv ist.
Bitte beende den folgenden Satz: «Wenn im Jahr 2021 keine Messen, Ausstellungen und Events stattfinden würden, dann wird Conteo ...
… seine Kunden unterstützen, dass ihre Veranstaltungen trotzdem immerhin digital durchgeführt werden können. Einer unserer Kunden geht mittlerweile so weit, dass er sagt, dass er keine Messe mehr absagen wird. Bei der Anmeldung werden den Ausstellern bereits zwei Arten der Durchführung angeboten: eine physische und eine digitale. Einige Monate vor der Messe wird entschieden, ob physisch oder digital durchgeführt wird.
Matthias Baldinger ist Gründer und Geschäftsführer von Conteo.
Interview: Urs Seiler, Founder smartville.digital
Conteo entwickelt seit 5 Jahren eine Plattform-Technologie, welche es Messeveranstaltern ermöglicht ihre Veranstaltungen in die digitale Welt zu erweitern. Dank der Plattform-Technologie können Aussteller ihre Geschichten online erzählen – vor der Veranstaltung und 365 Tage im Jahr. Conteo unterstützt Veranstalter wie z.B. die Messe Luzern, die Messe Friedrichshafen, die Olma Messen, die MCH Group, den Content ihrer Aussteller aktiv zu nutzen und ein Geschäft daraus zu machen. www.conteo.io
Comentarios