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Messe Stuttgart: «Die Messe wird nicht digitalisiert» - aber Preisschraube als Herausforderung

Die Messe Stuttgart kehrt trotz Rumpfmessejahr im 2022 in die Gewinnzone zurück. Der Krieg in der Ukraine und drastische Preissteigerungen beeinträchtigen das Geschäft. Aber sie hat während der Pandemie keine einzige Messe verloren.


by Urs Seiler | 21. Juli 2023



«Wir haben keine Messe verloren» war die gute Botschaft von Stuttgarts Geschäftsleiter Roland Bleinroth nach dem, was er als Unwort des Jahres, dem Veranstaltungsverbot, bezeichnete. Das ist keine Selbstverständlichkeit und war an der Jahrespressekonferenz 2022 am 20. Juli 2022 Ausdruck davon, dass es bei der Messe Stuttgart wieder gut läuft.


Die Messe Stuttgart erwirtschaftet im 9-Monate-Messejahr 2022, in dem erst im April 2022 die Covid-Restriktionen dahin fielen, einen Umsatz von 122.7 Millionen Euro. Hochgerechnet auf 12 Monate ergäbe das in 12 Monaten einen Umsatz von 163.6 Millionen Euro, das zweihöchste je erzielte Resultat.


Erstmals seit der Pandemie war das 2022 gekennzeichnet durch einen Konzerngewinn. Er betrug im 6.6 Millionen Euro gegenüber Verlusten von 15.8 Millionen im 2020 oder 6 Millionen im 2021.


Trotz des pandemiebedingten Veranstaltungsverbots organisierte die Messe Stuttgart im 2022 48 Messen mit einer halben Million Besuchenden und 13’400 ausstellenden Unternehmen.



Zu den Höhepunkten gehörten die AMB für Metallbearbeitung auf einem ausverkauften Messegelände oder die Südback oder die Weltleitmesse VISION für Bildbearbeitung.


Von links: Die beiden Geschäftsführer Roland Bleinroth und Stefan Lohnert mit Unternehmenssprecherin Stefanie Kromer.


Trotzdem machen der Messe Stuttgart ein schwieriges Umfeld zu schaffen. Da ist die geopolitische Situation mit dem Krieg in der Ukraine, das Messegeschäft muss ohne ukrainische und russische Kunden stattfinden. Auch die galoppierende Inflation wurde genannt, drastische Preissteigerungen, die die Messe Stuttgart nicht weiter geben kann.


Als eine der Herausforderungen nannte Geschäftsführer Stefan Lohnert auch Hausmessen als Alternative von großen Unternehmen die, wen wunderts, durch Covid einen kleinen Aufwind erhalten haben. Sie sind aber wegen ihrer geringen Reichweite eher ein Ausnahmephänomen.


Trotzdem machte die Führung der Messe Stuttgart den Eindruck, dass das Glas halb voll, nicht halb leer ist. Man sprach von einem «guten, sehr erfreulichen Ergebnis.»



Rückkoppelungseffekte aus dem Ausland

Die Zahlen der ausstellenden Unternehmen am Messeplatz Stuttgart aus dem Ausland und ebendiese Zahlen der BesucherInnen steigen an. Was hat es also mit dem vielgehörten rückläufigen Reiseverhalten der Unternehmen auf sich?


Gemäß Roland Bleinroth kommen mehr kontinentaleuropäische BesucherInnen, aber, auch nach Aufhebung der Covidrestriktionen in Asien, weniger aus Übersee. Der Trend in Richtung kontinentale Messe habe aber schon vor Covid bestanden.


Zu den positiven Aussichten für die Messe Stuttgart gehört die Etablierung von neuen Anlässen wie der Quantum Effects, der Volta-X für die Energieversorgung oder die hy-fcell in Wasserstofftechnologie, alle bereits im 2023.


Geostrategische Neuordnung

Roland Bleinroth sprach von einer geostrategischen Neuordnung, die sich im weltweiten Messegeschäft einstelle. Grund sind die riesigen Konsumentenmärkte in China oder Indien und Südostasien mit Thailand und Indonesien als einem Hub oder Vietnam als kommendem Markt.


Aussteller und Besuchende aus diesen Regionen hinterfragen eine Teilnahme an einer Messe in Europa, wenn sich ihre Abnehmer in den erwähnten aufsteigenden Märkten befinden.


Die Messe Stuttgart ist schon seit Jahren auch außerhalb Baden-Württembergs aktiv, so in Leipzig, in Hamburg und in Übersee. Sie verfügt bereits über Beteiligungen in China, Indien, Türkei und USA.


Zur Stärkung des Auslandgeschäfts wurde jetzt die Gründung einer weiteren Tochtergesellschaft, der Messe Stuttgart India Private Limited bekannt gegeben. Sie enthält die Kooperation mit dem indischen Maschinenbauverband Indian Machine Tool Manufacturing Association IMTMA, der die größte indische Maschinenbaumesse IMTEX veranstaltet.


Ins Thema Stärkung des Messegeschäfts jenseits Stuttgarts gehört die am 18. Juli 2023 verkündete Übernahme der NORTEC im Hamburg, gemeinsam mit dem Verband deutscher Werkzeugmaschinenfabrikanten VDW, ein eigentliches Meisterwerk der Messe Stuttgart als Ergänzung zur AMB-Messe in Stuttgart.


Entscheidend, vielleicht sogar matchentscheidend, sind solche Engagements außerhalb von Stuttgart, weil sie das Geschäft am Heimstandort stärken. Aus jeweiligen Regionen jenseits des Kerngeschäfts kommen erfahrungsgemäß mehr Aussteller- und mehr BesucherInnenkunden nach Stuttgart. Roland Bleinroth verwendete die Metapher eines «Marketing Perpetuum Mobile». Mit Auslandmessen stützt man das Heimgeschäft und «wir verdienen noch daran», sagte er.


Genannt wurden für solche Rückkoppelungseffekte auch die Reisemesse CMT mit Klonen in Leipzig oder Hamburg. Die erste Austragung der Reisen + Caravaning in Hamburg sah über 101’000 BesucherInnen.


Digitalisierung: «Bitte nie wieder digitale Messen»

Die Messe Stuttgart wird ihr Live Streaming von Kongressen ausbauen, um jene Zielgruppen zu erreichen, die nicht jede ihrer Branchenmessen besuchen können oder wollen. «Aber sie sind Begleitmusik, kein eigenständiges Konzert» verwendete Roland Bleinroth eine Metapher.


Nur das verführerisch klingende Thema der «digitalen» respektive «virtuellen» Messe holt niemand mehr hinter dem Ofen hervor.


Roland Bleinroth führte das aus. Die (teuren) Onlinesubstitute hätten für die teilnehmenden Unternehmen bloß Bestandeskunden erreicht, die Neukundenakquise hätte sich als «ganz schwierig» erwiesen. Deshalb sei der repräsentative Tenor eines Ausstellers zu Onlineveranstaltungen gewesen: «Super, dass ihr das gemacht habt. Wir konnten unsere Kontakte halten. Nur eine Bitte: macht das nie wieder.» Corona hat uns bestärkt, folgerte Roland Bleinroth: «Das Messewesen wird nicht digitalisiert».


Bis im Jahr 2050 will die Messe Stuttgart ihre Veranstaltungen klimaneutral führen. Umweltbewusstsein begleitet die Messe Stuttgart seit ihrem Neubau des Messezentrums in Echterdingen. Das Messegelände und das Dach des Bosch-Parkhauses verfügen über Photovoltaikanlagen mit 43’400 Quadratmetern, die jährlich 3.63 Millionen Kilowatt Solarstorm erzeugen. Damit können 900 Vierpersonenhaushalte während eines Jahres versorgt werden. Kompensationen für den noch bestehenden CO2-Ausstoss werden in Brasiliens Wäldern geleistet.


Keine Dividende erhalten übrigens die Gesellschafter der Messe Stuttgart, trotz Rückkehr in die Gewinnzone. Was die Messe Stuttgart hat, wird investiert, wurde gesagt. Die Messe Stuttgart ist einer von zwei Standorten in Deutschland mit der höchsten Auslastung an Veranstaltungen auf dem Messegelände.



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