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«Messen müssen mehr bieten als den Quadratmeter»

Die Auto Shanghai ist im Jahr 2021 der erste Marktplatz, der als Gradmesser und Meilenstein für die gesamte Branche gesehen werden kann. Mit Live-Videos von der Auto Shanghai.


by Johannes Plass* | 26. April 2021


«Wir brauchen eine neue post-Covid-Perspektive.

Die positiven Entwicklungen sind nun aufgebraucht!»


Johannes Plass, was beschäftigt Sie zur Zeit am meisten?

Die unklare Planungslage in der aktuellen Krise treibt alle Marketingverantwortlichen um. Wir spüren bei allen Kunden und Kollegen zunehmenden Frust. Es ist für Menschen offenbar sehr schwierig, mit der momentanen Situation umzugehen. Niemand kann sagen, wann der Lockdown, das Homeoffice, die eingeschränkte Reisetätigkeit und das tägliche, stundenlange Starren auf den Monitor ein Ende hat. Das, was wir anfangs der Krise an positiven Entwicklungen abgewinnen konnten, ist nun aufgebraucht oder erlernt. Wir brauchen eine neue Perspektive.



Mutabor hat soeben Audi E-Volution auf der Automesse Shanghai (Bild oben) inszeniert. Messe? Wie sind in China Messen möglich, wenn in Europa totaler Veranstaltungs-Stillstand herrscht?

An erster Stelle gilt der Dank dem Kunden und dem verantwortlichen Markt in China für die Weitsicht, denn ein solches Projekt hat einen sehr langen Vorlauf. Man hat sich also schon vor Monaten entschieden, mit relevanten Themen und einem echten Investment in eine Messe in Shanghai dabei zu sein. Und das zu einem Zeitpunkt, als hier in Europa in der Veranstaltungsbrache so gut wie gar nichts mehr ging.



Der Rest war dann einfach. Das Projekt wurde wie alle anderen aktuellen Projekte zu 100 Prozent auf Distanz geplant und umgesetzt. Auch die Baustelle wurde mit den Partnern und Fachleuten vor Ort aus dem Home-Office gesteuert. Das Internet auf den Baustellen in China ist ja besser als bei uns im Home-Office. Technisch war das also weniger ein Problem.


Wie war die Stimmung bei Audi, bei den anderen Aussteller und bei den BesucherInnen? Was hat diese am meisten interessiert?

Die Messe war gut besucht. Der Kunde war mit dem Feedback vor Ort und der Medienresonanz sehr zufrieden. Es ist kein Geheimnis, dass es in China aktuell fast ausschließlich um Elektroautos und Software geht. Audi konnte mit dem A6 e-tron Showcar und den jüngsten Weltpremieren Audi e-tron GT und Q4 e-tron punkten. Aktuell ringen China, die USA und Europa um die Innovationsführerschaft. Die Auto Shanghai ist in 2021 der erste Marktplatz, der als Gradmesser und Meilenstein für die gesamte Branche gesehen werden kann.


Aber es ist noch zu früh, um ein vollständiges Fazit zu ziehen. Uns fehlt natürlich auch die persönliche Präsenz. Die Medienlage ist dünn. Es sind zu wenig neutrale Beobachter vor Ort.


In Europa befinden sich Automobil-messen in einem dramatischen Rückgang. Was ist der Unterschied, dass in Shanghai 1000 Aussteller teilnehmen können?

Messen sind immer ein Indikator für das Wachstum eines Marktes. Der europäische Markt ist gesättigt, der chinesische Markt wächst. Während wir in Europa also nur Verteilungskämpfe ausfechten, geht es in China um Eroberung. Und das in einer Phase des technologischen Wandels, der mit einem Mindset-Wandel der Kunden einhergeht. Wer sich also in China nicht zeigt, der hat mit deutlich krasseren Folgen zu rechnen als derjenige, der sich gegen eine Teilnahme bei einer europäischen Plattform entscheidet.


In Europa befinden sich die Messen in der Transformation. Die Kunden haben neue Kennzahlen-Indikatoren, die in der Regel digital gemessen werden. Hier tun sich die Messen aktuell noch sehr schwer mit der neuen Messebarkeit. Ich sehe die IAA als erste Plattform, die mit einem wirklich komplett neuen Konzept zu punkten versucht. Aber viele Aussteller sind noch zurückhaltend, da die Planbarkeit nicht abgesichert ist.


Vom 7. – 12. September 2021 soll das frühere Flaggschiff IAA neu unter dem Titel IAA Mobility neu in München stattfinden. Wie beurteilen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass das tatsächlich eintreffen wird?

Die Messe wird stattfinden, das ist so beschlossen und wird auch passieren. Unklar ist, in welchem Szenario. Die Autobranche und die Veranstaltungsbrache sehnen sich nach einem solchen Event. Ob es so kommt oder ob wir mit Corona-Einschränkungen vor Ort rechnen müssen oder ob wir im schlimmsten Fall eine rein virtuelle Veranstaltung sehen werden, ist natürlich noch nicht zu hundert Prozent klar.


Ich bin Optimist und glaube, dass wir nach der Impfoffensive eine Live Veranstaltung sehen werden, die vielleicht noch mit angezogener Handbremse gefahren wird. Die Tatsache, dass wir nach 14 Monaten Lockdown für den Herbst keine Planungsgrundlage haben lässt viele hadern. Die Entscheidungen zur Teilnahme an der IAA sind in vielen Häusern gefallen. Ich kenne Unternehmen, die das sehr positiv angehen und eine Live Veranstaltung sehen. Ich kenne aber auch andere Einschätzungen.

Ich denke, die IAA wird auf jeden Fall ihren Job als die maßgebende zentrale Plattform Europas für die Mobilitätswende machen. Thematisch wird es so gut wie nie – auch besser als bei der Auto Shanghai.


Was halten Sie von den sogenannten «virtuelle Messen»? Wie ist ihre Stimmungslage zu diesem fragwürdigen Begriff?

Es benötigt hier eine Begriffsklärung.


Wir unterscheiden den virtuellen Event, also den moderierten Videostream von der virtuellen Messe, also einem virtuellen Raum, in dem ich Aussteller treffen kann. Darüber hinaus sprechen wir noch von Hybrid Events oder Hybrid Messen, was wiederum ein Mix aus echter Messe beziehungsweise echtem Event und digitalen Up-Formaten ist.


Die virtuelle Messe hat keine Zukunft, die hybride Messe ist noch in den Kinderschuhen und nicht entwickelt. Das Format der Stunde ist der virtuelle Event.



Wie beurteilen Sie die Zukunft von sogenannt «hybriden Messen»? Was bringen die? Welchen Sinn machen Sie?

Das Problem der aktuellen Konzepte für hybride Messen ist das Geschäftsmodell, das nicht funktioniert. Die klassischen Messen kommen aus einem Geschäftsmodell, das auf die Vermietung von Quadratmetern ausgelegt ist. (Bild oben: IAA Frankfurt)


Die Versuche der Organisatoren, hybride Messen zu amortisieren sind – Stand heute – gescheitert. Darum trommelt man natürlich für das alte Geschäftsmodell. Meine These ist, dass nur diejenigen überleben werden, die ihren Kunden mehr bieten als die reine Fläche.


Die Organisatoren müssen erlernen, Ihre Besucher besser an die Aussteller zu verkaufen. In Zeiten von digitaler Erfolgsmessung wirken die aktuellen Kennzahlen von Messemachern wie aus dem Mittelalter.


Zukünftig werden wir Veranstalter sehen, die ihre Followership kennen und eine neue Generation von »Messen« organisieren. Der B2B Bereich kann vielleicht noch einige Zeit in dem alten Geschäftsmodell überdauern.


Unser Kerngeschäft hat sich gerade in den letzten zwei Jahren stark verändert. Die digitalen Lösungen haben analoge Leistungen längst abgelöst. Als Entwickler profitieren wir immer von starken Transformationen. Unser Name (Mutabor = I'm going to change) ist auch unser Geschäftsmodell.


Wenn wir endlich vom Bildschirm wegkommen, werden wir auch wieder erfolgreiche und nachhaltig transformierte Messen sehen.


*Johannes Plass ist Mitgründer und CEO der Designagentur Mutabor, Hamburg


Interview: Urs Seiler.

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