English below. Digitalisierung ist nicht Bedrohung für Messeveranstalter, sondern die Rettung. Wenn sie genau hinschauen, wie das geht. Eine Weltraumwissenschaft ist das nicht. Aber es braucht ein neues Denken.
by Urs Seiler* | 14. Februar 2021
«Die Zukunft ist schon da, sie ist nur ungleich verteilt» sagt Christian Simm PhD in der Buchneuerscheinung «Lessons Learned. Impulse und Tipps für die Start-Up Szene Schweiz und Unternehmen in Transformation» von Matchmaker und Influencer Roland Kümin.
Dabei ist diese Zukunft schon ziemlich alt. Aber Messeveranstalter befinden sich noch in Agonie, weil sie größere Angst vor Veränderung haben als vor dem Status Quo des unaufhaltsamen Niedergangs. Die Zukunft ist schon etwa zehn Jahre alt, aber Messeveranstalter wollen nicht hinsehen.
Das falsche Denken
Die wichtigsten, ernst zu nehmenden der Messefachleute haben erkannt, dass es im Messegeschäft nicht um Digitalisierung geht, die um ihrer selbst willen keinen Wert darstellt. Digitalisierung existiert seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Aber es kommt darauf an, was man daraus macht.
Dabei wäre es so einfach. Digitalität kann und darf immer nur dazu beitragen, das reale Treffen zu fördern.
Der angesehene Jochen Witt hat das wie kein anderer unmissverständlich ausgedrückt: «digitale Messen sind wie eine digitale Dusche oder ein digitales Dinner.»
Es ist leicht durchschaubar, dass aus vielen Gründen, die hier dargestellt werden, auch der Begriff der «virtuellen Messe» nichts weniger als ein Etikettenschwindel darstellt. Wir können es nicht oft genug unterstreichen: virtuelle Messen existieren ebensowenig – wie virtuelle Realitäten. Wir haben nur eine. Wir müssen uns von einer falschen Begrifflichkeit lösen, weil sie den Blick auf das Wesentliche verschleiert.
Vernetzung, nicht Digitalisierung
Heute geht es, nicht nur für Messen, sondern für jede Industrie darum, ihre Interessengruppen, Anbieter und Einkäufer, zu v e r n e t z e n. Das ist die Herausforderung, welche Messeveranstalter in den letzten Dekaden vernachlässigt bis verdrängt hatten, obwohl sie häufig das Gegenteil behaupteten.
Vernetzung ist nicht zuerst eine Frage der Technologie, sondern des richtigen Denkens. Messeveranstalter müssen sich zur Überzeugung durchringen, dass ihr Geschäft jenes ist, Kunden zusammen zu bringen und in der heutigen Zeit kann die Konsequenz daraus nur «digital first» (müssen wir es noch unterstreichen: nicht m2-first!) heißen. Der Rest, das Geschäft mit persönlichen Begegnungen ergibt sich dann als Konsequenz daraus wie von selbst – nicht mehr umgekehrt wie früher.
Transformier’ oder verlier’: Die Welt nach und während Corona
Im 2019 betrug das Reisebudget eines multinationalen Unternehmens, nennen wir es Global Inc, 20 (!) Millionen Dollar. Während Covid schrumpfte es auf 1.8 Millionen Dollar, im 2021 wird es nochmals, auf 1.5 Millionen Dollar, reduziert!
Unternehmen haben den Sex-Appeal von remote-Sitzungen kennen gelernt: Schnell ein Zoom-Quicky vom Office oder von zu Hause aus, ohne großen Zeit- und finanziellen Aufwand. Das persönliche Treffen wird danach, je seltener es wird, umso wertvoller. Das bedeutet, und alle Zeichen weisen darauf hin: Events, auch Messen, werden weniger, aber wenn sie dann stattfinden, geschieht das in der Form einer Olympiade: die große Feier nach vier Jahren trainieren (oder nach genau einem Jahr dieses unsäglichen Virus)!
Das liegt einzig und allein an der menschlichen Natur. Wir sind keine Roboter. Als Menschen wollen wir aus vielerlei Gründen andere Menschen treffen, wir wollen mit ihnen netzwerken, wir wollen sie umarmen, wir wollen miteinander essen und trinken. Wir wollen auch unsere liebsten Feinde höchst persönlich vor Ort ignorieren! Das geht auf dem Internet nicht! Wir wollen auch ungeplante Begegnungen machen im großen Unterschied zum Internet, wo man sich erst nach einer gezielten Suche findet. Wir wollen ungeplante Erfahrungen machen, das was im Englischen mit «serendipity» beschrieben wird.
Jetzt geht es um intelligente Lösungen für die Verschränkung von digital und live. Wie wollen Sie sonst die Nicht-mehr-Reisenden der Global Inc erreichen? Als Modell existieren solche Lösungen schon lange, sehr lange. Aber Messeveranstalter ... ich hör’ jetzt auf.
Das neue Geschäftsmodell: Mitmachen ohne dabei zu sein
Katie hatte keinen Messestand an der ToyFair New York im Januar 2016, aber sie arrangierte zahlreiche Treffen auf der Messe. Nachdem sie sich eine Demo der digitalen Erweiterung der Toy Fair New York angeschaut hatte konnte sie ihr Onlineprofil mit ihren Produkten auf der Messe posten. Danach war sie im Gespräch mit verschiedenen Einkäufern und hatte ein Angebot zum internationalen Vertrieb ihres Angebots. Katie dachte: Meine Güte, wenn ich online schon so erfolgreich bin ... jetzt will ich meinen Erfolg auf dem Showfloor austesten!
Marian Bossard vom Messeveranstalter, der Toy Industry Association, sagte bereits 2016: «Digitale Erlebnisse sind natürlich. Jeder Messeveranstalter, der glaubt, durch Digitalität das Geschäft mit realen Begegnungen zu riskieren, übersieht das Wesentliche!»
In Zukunft werden die intelligenten Messeveranstalter nach der Verschränkung von digital und real gar nicht mehr von Ausstellern und BesucherInnen sprechen – nur noch von Einkäufern und Verkäufern auf einem einzigen, großen, erfolgreichen Marktplatz.
Der Messepionier Urs Albert Ingold hat die Überlegenheit der Digitalität für Marktrecherchen, die heute nicht mehr auf Messen stattfinden, und den Konflikte der Messeveranstalter in bezug auf ihr veraltetes Geschäftsmodell vs ein notwendiges Denken der Veränderung in seinem maßgebenden Aufsatz «Messen haben ihren Zenit überschritten – Hoffnung besteht trotzdem» festgehalten: «Wer im Netz etwas sucht benutzt Google. Kein Mensch prüft doch, welche Branchenveranstaltung existiert, um über diese Veranstaltung seine Anbieter zu suchen, denn das wäre ein absurder Suchprozess, weil auf diesen Plattformen immer nur diejenigen abgebildet werden, die auch physisch Teil der Veranstaltung sind. Dem Suchenden fehlt über diesen Umweg schon mal ein beträchtlicher Teil von Anbietern.»
Stellen Sie sich vor: Ein Suchender sucht eine Marktinformation – einen Anbieter, ein White Paper, eine Keynotereferentin, die maßgebenden Verbände – und er findet sie auf Ihrem ... digitalen und realen Marktplatz.
Digital first
Stellen Sie sich vor: Sie haben ein Geschäftsmodell «digital first», wo Aussteller und Besucher auch in Zukunft einen Obulus entrichten, um an der Olympiade des Marketings
l i v e dabei zu sein, und Onlineverkäufer und –einkäufer bezahlen, damit sie mit ihrer Community laufend im Kontakt sind.
Der CEO von Opera AG, Thomas Schärer, beschrieb diesen Prozess in seinem Aufsatz «Der Wunsch für reale Meetings wird jeden Tag grösser» so: «Daraus ergeben sich ganz neue Geschäftsmodelle. Stellen Sie sich vor: Ihr Event hat ein bezahltes Premiumangebot, etwa das Referat eines Keynotespeakers oder ein digitales Match-Making-Werkzeug und dann ein kostenloses Freemium-Angebot, für jene, die mitmachen, aber nicht das bezahlte Angebot nutzen wollen.»
Wer nicht transformiert, verliert
Die erschwerte bis verunmöglichte Reisesituation während Covid hat zu einem Umdenken bei den Unternehmen geführt. Aber Messeveranstalter müssen die Angst davor verlieren, dass Messen ein aussterbender Dinosaurier seien und das Internet die Ursache. If you can’t beat them – join them.
Der Messemacher Udo Schürtzmann sagt in unserem Interview, das nächste Woche hier erscheint: «Am meisten beschäftigt mich derzeit, dass viele Messeveranstalter, national und international teilweise noch immer nicht sehen wollen, dass sich die Messewelt post COVD-19 verändert. Sie nehmen es wahr, denken aber häufig, mit einer Verschiebung der Messe oder einer zusätzlichen digitalen Plattform geht es weiter, wie bisher. Diese Rechnung wird langfristig nicht aufgehen.»
Modelle für die Messewirtschaft existieren schon zehn Jahre lang. Aber lange wollten Messeveranstalter nicht hinsehen. Jetzt hat Covid der menschlichen Angst vor Veränderung ein Ultimatum gestellt: transformier’ oder verlier! Wenn das jetzt zu einer Transformation der Messe-Industrie führt, war die Pandemie nicht vergebens. Auf dass wir wieder sagen werden:
Nice to see you! Ein Hoch auf das Virus!
*Urs Seiler ist founder von smartville.digital. smartville.digital berät Veranstalter und Dienstleister in Live Kommunikation in Spitzenkommunikation, Executive Search und digitaler und analoger Transformation.
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Nice to see you: Cheers to the virus!
English below. Digitization is not a threat to trade show organizers, but a rescue. If they look closely at how it's done. It's not rocket science. But it does require a new way of thinking.
by Urs Seiler* | 14 February 2021
(Translated from German with deepl.com)
«The future is already here, it's just unevenly distributed» says Christian Simm PhD in the new book «Lessons Learned. Impulses and Tips for the Start-Up Scene and companies in transformation» in German language from the matchmaker and influencer Roland Kümin.
As a matter of fact, this future is quite old. But conventional trade show organisers are still in agony because they are more afraid of change than they are of the status quo of unstoppable decline. This future is about ten years old, but trade show organizers don't want to take a look.
The wrong way of thinking
The most important of the trade show professionals have recognized that the trade show business is not about digitization, which is not a value for its own sake. Digitization has existed since the 1980s. But it's what you make of it that counts.
But it would be so simple. Digitization can and should only ever help to promote the real meeting.
The respected Jochen Witt has put it more unequivocally than anyone else: «digital trade shows are like a digital shower or a digital dinner.» It is easy to see through that, for many of the reasons outlined here, the term "virtual trade show" is also nothing less than a labelling hoax. We can't emphasize it often enough: virtual trade shows don't exist any more than virtual realities do. We have to get rid of a false terminology because it obscures the view of the essential.
Connecting, not digitization
Today, not only for trade fairs, but for every industry, it is a question of c o n n e c t i n g stakeholders, suppliers and buyers. This is the challenge that many trade show organizers have neglected or even suppressed in the last decades, although they like to claim the opposite.
Networking is not first and foremost a question of technology, but of the right way of thinking. Trade show organizers must come to the conclusion that their business is to bring customers together, and in this day and age the consequence of this can only be «digital first» (must we emphasize: not m2-first!). The rest, the business with personal encounters, then arises as a consequence of this as if by itself - no longer the other way around as in the past.
Transform or lose: the world after and during Corona
In 2019, the travel budget of a multinational company, let's call it Global Inc, was 20 (!) million $. During Covid it shrank to 1.8 million $, in 2021 it will be further reduced to 1.5 million $!
Companies have learned about the sex appeal of remote meetings: a zoom-quicky from the office or from home, without a huge investment of time or money. The more infrequent the face-to-face meeting, the more valuable it becomes. This means, and all signs point in this direction: events, including trade fairs, are becoming fewer, but when they do take place, it's in the form of the Olympics Games: the big celebration after four years of training (or after exactly one year of this unspeakable virus)!
This is solely due to human nature. We are no robots. As humans, we want to meet other people for many reasons, we want to network with them, we want to hug them, we want to eat and drink together. We also want to ignore our dearest enemies personally on the spot! You can't do that on the Internet. We want to make unplanned experiences, which is described in English so accurately as «serendipity».
Now it's all about smart solutions for bringing digital and live together. How else are you going to reach the non-travellers of Global Inc? As a model, such solutions have existed for a long, long time. But trade show organizers ... I'll stop now.
The new business model: Participate without being on the premises
Katie did not have a booth at ToyFair New York in January 2015, but she arranged numerous meetings at the show. After watching a demo of the Toy Fair New York digital expansion, she was able to post her online profile with her products at the show. After that, she was in conversation with several buyers and had an offer to distribute her product line internationally. Katie thought, «My goodness, if I'm already this successful online .... now I want to test my success on the show floor!»
Marian Bossard of trade show organizer, the Toy Industry Association said back in 2016: «Digital experiences are natural. Any trade show organizer who thinks digital will risk the business of real encounters is missing the point!»
In the future, after digital and real are brought together, smart trade show organizers won't even talk about exhibitors and visitors - just buyers and sellers in a single, large, successful marketplace.
Trade show pioneer Urs Albert Ingold captured the superiority of digital for market research that no longer takes place at trade shows and the conflicts trade show organizers face regarding their outdated business model vs. a necessary mindset of change in his essay «Messen are outdated – but there’s hope: Anyone who researches on the web uses Google. No one checks which industry event exists in order to search for suppliers via this event, that would be an absurd process, because only those who are physically part of the event are shown on these platforms. The searcher would be missing a considerable number of suppliers to start with.»
Imagine this: You are researching a market information - a vendor, a white paper, a keynoter speaker, a professional associations - and you find it in your ... digital and real marketplace.
Digital first
Imagine this: You have a «digital first» business model where exhibitors and visitors continue to pay a premium to be l i v e at the Olympics of marketing and online sellers and buyers pay to be in constant contact with their community.
The CEO of Opera AG, Thomas Schärer, described this process in his essay «Der Wunsch nach realen Treffen steigt jeden Tag» as follows: «This results in completely new business models. Imagine: Your event has a paid premium offering, such as a keynote speaker's presentation or a digital match-making tool, and then a freemium offering, for those who want to join but don't want the full paid offering.»
Transformation or liquidation
The aggravated to impossible travel situation during Covid has led to a rethinking among companies. But trade show organizers need to lose the fear that trade shows are a dying dinosaur and the Internet is the cause. If you can't beat them - join them.
The trade fair organizer Udo Schürtzmann says in our interview, which will appear here next week: «What concerns me most at the moment is that many trade fair organizers, nationally and internationally still partly do not want to see that the trade fair world is changing post COVD-19. They perceive it, but often think that with a postponement of the trade show or an additional digital platform, things will continue as before. This tactics will not work out in the long run.»
Models for the trade show industry have existed for ten years. But for a long time, trade show organizers didn't want to look closely. Now Covid has given us as humans, who fear change an ultimatum: transform or lose! If this now leads to a transformation of the trade fair industry, the pandemic will not have been in vain. Here's to saying:
Nice to see you! Cheers to the virus!
*Urs Seiler is the founder of smartville.digital. smartville.digital is a consulter in the live communication industry on deep communication, executive search and digital and analogue transformation.
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