Sogenannte «virtuelle Messen» sind albern. Messeveranstalter, die die Handhabung ihrer Daten an Dienstleister übergeben, haben das Thema «Datenhoheit» nicht verstanden. Und kommt es jetzt mit der neuen Bundesregierung zu besseren Standortbedingungen? Die Messemacherin Katharina Hamma spricht mit smartville digital über die brennenden Themen der Messewirtschaft.
von Katharina Hamma* || 27. Februar 2025

Frau Hamma, was beschäftigt Sie zur Zeit am meisten?
Die grösste Herausforderung, der wir uns momentan in der Messewirtschaft gegenübersehen, ist der Standortfaktor am Messeplatz Deutschland. Wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig. Überregulierung oder hohe Energiepreise machen das Wirtschaften schwierig bis unmöglich, wenn sich die Messekunden – von denen die Messewirtschaft ja lebt – ihr Marketing aufgrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht mehr leisten können. Die Veranstalter, die wir beraten, spüren das. Dies führt allgemein zu Planungsunsicherheit. Sie überlegen länger, ob sie einen Auftrag vergeben wollen.
Wir dürfen uns hier in Europa oder in den USA nichts vormachen: wir stellen nur noch 9% der Weltbevölkerung. Wenn wir nicht ein hochattraktiver Markt bleiben, ist das Weltgeschehen bald woanders.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: An einer Messeeröffnung in Malaysia im Jahr 2024 besuchte der Premierminister des Landes die Veranstaltung, ohne dass die Messe in irgend einer Form Einschränkungen durch die Personensicherheit erfuhr. Das hat mich als langjährige Veranstalterin wirklich beeindruckt und wurde mir vom Veranstalter so bestätigt. Wenn unser Kanzler auf einer Messe auftritt, wird alles abgesichert, was zu großen Bewegungseinschränkungen führen kann. Und die Auflagen und Sicherheitskosten sind wesentlich höher als das Beispiel in Asien.
Ich stelle fest, dass das, was früher für Deutschland ein Standortvorteil war, sich jetzt zu einem Nachteil entwickelt. Unsere öffentlich-rechtlichen Messegesellschaften hatten früher den Vorteil, dass sie ihren Standort entwickeln und dadurch die Standorte entsprechend ihrem Portfolio ausrichten konnten. Jetzt mit der allgemeinen Finanzierungsknappheit ist das kein Vorteil mehr, es wird, außer in die Hardware der Messezentren kaum mehr in Messeportfolios investiert. Aber es bleibt das Handicap eines politischen Aufsichtsgremiums. Seine Mitglieder sind häufig sehr fachfremd und die Regulatorien sehr bürokratisch. Der Standortvorteil und der Strukturvorteil, den die deutschen Messegesellschaften hatten, dreht sich jetzt ins Gegenteil.
Wir haben im 2024 die Renaissance der deutschen Messewirtschaft mit Rekordumsatzzahlen von Berlin bis Karlsruhe beschrieben. Wie beurteilen Sie diese Diagnose anhand der Umsatzzahlen?
Die von Ihnen beschriebenen Umsatzzahlen stammen ja hauptsächlich aus den Jahren 2023 und 2024. Eine sogenannte «Renaissance» ist deshalb häufig hochgeputscht, weil nur der Umsatz beurteilt wird. Darin enthalten sind aber automatisch schon die hohen allgemeinen Preissteigerungen, die wir in Deutschland in den letzten Jahren hatten. Für mich sieht das eher aus wie ein letztes Aufbäumen.
Je nach Branche, in der man unterwegs ist, wird 2025 ein deutlich schwierigeres Jahr. Wie in jeder Krise hatte die Messewirtschaft während Covid damit zu kämpfen, dass die Aussteller die Größe ihres Messeauftritts reduzierten, um Kosten zu sparen und sich an einen kleineren Auftritt gewöhnten. Diese Tendenz lässt sich bei sämtlichen Messen nachvollziehen, sie beschreibt eine Art Paradigmenwandel.
In der Vergangenheit konnten die Messeveranstalter auf solche Phänomene damit reagieren, dass sie stärker internationalisierten. Das wird aber nicht mehr so weiter gehen, weil Deutschland als Absatzmarkt an Attraktivität verloren hat aufgrund der bekannten Hindernisse wie höhere Auflagen, kleinere Nachfrage, schwindender Kaufkraft im Binnenmarkt, wirtschaftliche Regulierungen, Nachhaltigkeitskosten, zusätzliche Auflagen für Marktteilnehmer wie z. B. das Lieferkettengesetz.
Interessant zu beobachten ist in diesem Zusammenhang, dass im letzten Jahrzehnt entstandene neue Formate wie das OMR Festival in Hamburg, die Dokomi in Düsseldorf mit 200‘000 BesucherInnen oder die Republica in Berlin mit großer gesellschaftspolitischer Relevanz alles Anlässe sind, die nicht von den öffentlich-rechtlichen Messegesellschaften entwickelt wurden. Die nehmen auch nicht Anteil an der Messebranche und bezahlen zum Beispiel auch keinen AUMA-Beitrag. Da öffnet sich gerade eine Parallelwelt.
Sogenannte «virtuelle» oder «digitale» Messen haben sich nicht durchgesetzt. Weshalb? Welche Digitalisierung braucht die Messewirtschaft und welche braucht sie nicht?
Für mich ist Digitalisierung von Messen im Positiven und Negativen die Erweiterung des Werkzeugkastens für die Kundenansprache der Messegesellschaften. Der Werkzeugkasten ist grösser geworden und deutlich komplexer. Die Fragestellung ist, wie nutze ich diesen Werkzeugkasten richtig.
Messeveranstalter, die die Handhabung ihrer Daten an Dienstleister übergeben, haben meiner Meinung nach das Thema «Datenhoheit» nicht verstanden, es ist unverständlich, weshalb man so wichtige Daten nicht bei sich behält. Das ist absurd, weil man mit dem Datenhandling sein Know How in fremde Hände gibt. Dieses Delegieren ist eine große Besonderheit in Deutschland, im Gegensatz zu Asien oder privaten Veranstaltern, die hüten ihre Daten und geben sie nicht raus.
Zum Thema virtuelle Messen: die bringen überhaupt nichts. Kein Mensch will einen Messestand online abgebildet sehen oder online daran teilnehmen. Dazu kommt, dass ich mich bei einer Onlineteilnahme bereits registrieren muss, obwohl ein Produkt oder Unternehmen für mich vielleicht gar nicht interessant ist.
Diese Einstiegshürde entfällt bei einem Messebesuch, bei dem ich mich erst zu erkennen gebe, wenn ich ein konkretes Interesse habe. «Digitale Messen» waren einfach nur albern. Der Begriff der «virtuellen Messe» oder der «Onlinemesse» ist deshalb nichts anderes als ein Etikettenschwindel.
Wo Digitalisierung funktioniert, ist im Bestreben, mehr Reichweite herzustellen, vor allem für Kunden, die für einen Messebesuch verhindert sind und in der Präsentation oder Kommunikation von Content wie etwa inhaltlichen und emotionalen Präsentationen.
Das grösste Verkaufsargument pro Messe bleibt für mich aber, was die Angelsachsen «Serendipity» nennen, das zufällige, ungeplante Ereignis. Das stellt sich online, wo man ja immer nur gezielt sucht, nicht ein.
Wie wird Künstliche Intelligenz die Messewirtschaft prägen oder verändern?
Künstliche Intelligenz ist wunderbar und macht großen Spaß. Das wars dann aber auch schon. Denn auch hier finde ich keine Serendipität, sondern immer nur eine neue Mischung von bereits Vorhandenem, da kriegt man nie was komplett Neues. Künstliche Intelligenz ist einfach nur eine Abbildung von Millionen von Daten, aber auch diese sind stets nur so gut wie ihr Nutzer. Es entsteht ja nichts Neues, es werden keine Synapsen neu verknüpft.
Die größten privaten Veranstalter, für die Sie als Beraterin arbeiten, nehmen Milliardenbeträge in die Hand, um Messen oder Messeveranstalter zu kaufen. Wie rechnet sich das?
Die großen globalen privaten Messeveranstalter haben erkannt, dass der Dachmarkt in Deutschland schwächelt. Wir kamen bei einem privaten Veranstalter dazu, um den Markt im Detail zu analysieren. Die haben ein sehr interessantes Einstiegsmodell: die gucken, wem welche Markenurheberrechte gehören. Überall, wo diese bei einem Verband oder einer privaten Organisation liegen, wird geprüft, ob das Veranstaltungsthema für das Portfolio interessant ist. Diese Information, welche Marke gehört wem, kann man übrigens beim Patentamt nachschauen, das ist alles sehr transparent.
Historisch gibt es in Deutschland nur ganz wenige Messeplätze, denen ihr Veranstaltungsportfolio zu 100 Prozent gehört. Dann gibt es Messeplätze die haben sehr viele Messelizenzen, die tun aber so, als ob das ihre eigene Veranstaltung wäre. Die sind dann schwächer unterwegs. Ein solcher Lizenzteilhaber muss nicht unbedingt ein Verband sein, das kann auch ein Verlag sein. Je weniger Markenrechte die Messeplätze in Zukunft besitzen, umso schwächer sind sie für die Zukunft aufgestellt.
Welche Rahmenbedingungen erwarten Sie jetzt von der neuen Bundesregierung, um den Standort und den Messeplatz Deutschland wettbewerbsfähiger zu machen?
Ein großer Leidensdruck besteht in der Visapolitik. Vor 20 Jahren waren sich die deutsche und die chinesische Visapolitik ziemlich ähnlich. Mittlerweile kann jederman in China visafrei einreisen, nur die deutsche Visapolitik ist gleich geblieben. Das erschwert natürlich den Zugang zum deutschen Markt. Wir sind im Verfahren im letzten Jahrhundert stehen geblieben.
Ein weiteres Thema ist die Überregulierung beziehungsweise die dezentrale Regulierung, wie zum Beispiel in der Versammlungsstättenverordnung. Sie ist in allen Bundesländern anders. Warum gibt es nicht eine Verordnung für ganz Deutschland? Wir haben in unserem Land in allen Bereichen immer wieder nur neue Gesetze drauf gesetzt, teilweise im Bund, teilweise in den Ländern, teilweise in der Kommune, aber man hat nie daran gedacht, ob man sich irgendwann wieder von etwas verabschieden kann.
In Deutschland muss auch dringend in die Infrastruktur investiert werden. Ich vergleiche unsere unpünktlichen Züge und die für einen Ausländer nicht nachvollziehbaren Preis- und Tarifstrukturen des ÖPNV mit nur wenig ausländerfreundlichen Bezahlstrukturen mit einem Land wie zum Beispiel Italien (!). Hier sind die meisten Züge pünktlich, das gesamte Bahnhofsumfeld ist sauber und auffällig durch Polizeipräsenz gekennzeichnet. Im öffentlichen Nahverkehr halte ich einfach meine Kreditkarte beim Ein- und Aussteigen an den Kartenleser und der für mich beste Tarif wird errechnet und abgebucht. Das ist mir bei meinem Besuch Anfang des Jahres in Italien einfach positiv aufgefallen.
Bitte beenden Sie den folgenden Satz: «Die deutsche Wirtschaft muss wieder wachsen, damit …
… sie ihre Positionierung und weltweite Bedeutung auch für die Messeindustrie behält.»
*Katharina Hamma ist Gründerin von creacorp und Partnerin von Expos Global, Berlin und Singapur.
Interview: Urs Seiler
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