Warum die Hannover Messe so wichtig ist und die Schweiz als Aussteller versagt
- Urs Seiler
- vor 10 Stunden
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Die Hannover Messe, die weltweit grösse und wirtschaftspolitisch bei weitem wichtigste industrielle Schau, fand dieses Jahr im Kontext der dramatischen globalen wirtschaftspolitischen Veränderungen statt und bot teilweise Lösungskonzepte an. Nur die Schweiz als ausstellende Nation will davon wenig wissen, obwohl auch sie mitten drin steckt.
von Urs Seiler || 7. April 2025 || Vertretung der Deutschen Messe AG für CH/Li || Messen der Deutschen Messe AG weltweit

Messerundgang mit Kanzler Olaf Scholz mit Demonstration am Festo Stand.
Der Präsident des VDMA, Bertram Kawlath, brachte es auf den Punkt: «Der Druck, das wirtschaftliche Europa wieder auf Vordermann zu bringen ist groß: Die Industrie leidet unter Überregulierung, ungenügender Infrastruktur sowie fehlender Flexibilität und Anreize für Innovationen.» Es wäre ein Tor, der glaube, er könne sich dieser Situation entziehen, schon gar nicht durch Abstinenz.
Natürlich richteten sich seine Worte an die Politik, von der am glamourösen Eröffnungsanlass, traditionsgemäss am Sonntag vor Messebeginn, der noch amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz sprach, ebenso wie der noch amtierende Vize-Kanzler und Wirtschaftsminister Roland Habeck am zweiten Messetag, dem Dienstag, am Stand des Partnerlandes Kanada.
Dank dem Eröffnungsanlass ist die Hannover Messe weit mehr als eine wichtige Leistungsschau von Schlüsselanbietern wie Festo oder Siemens und vielen, vielen weiteren. Vielleicht konnte man im 2025 angesichts der scheidenden Regierung in Deutschland nicht mehr Impulse erhoffen. Aber das wird in den kommenden Jahr anders sein. Die Politik braucht diese Bühne und die Wirtschaft ebenso für ihren Dialog. Der Eröffnungsanlass ist gewissermassen der notwendige intellektuelle Auftakt für das, was dann in der folgenden Woche an den Ständen in den Messehallen abgeht.
Europa braucht einen neuen Mindset
Dazu, was Europa braucht und das wirtschaftspolitisch verunsicherte Deutschland, gab Hannovers Messechef, Dr. Jochen Köckler in einem Interview in der Frankfurt Allgemeinen Zeitung am 30. März schon im Vorfeld der Hannover Messe Auskunft. «Wir sind noch die drittgrößte Volkswirtschaft. Wir genießen immer noch ein hohes Ansehen – aber das ist kein Naturgesetz. Es reicht nicht, das eine oder andere Reförmchen umzusetzen, wir brauchen tatsächlich einen Wechsel des Mindsets» sagte er der FAZ.

Annika Klar in der Lounge der Deutschen Messe AG am 31. März.
Wie das bei Deutschlands Leitmessen selber aussieht und welcher Mindset hier gefragt ist, darüber haben wir am Eröffnungstag der Hannover Messe am 31. März mit Annika Klar, Senior Vice President New and Global Business Development der Deutschen Messe AG, Veranstalterin der Hannover Messe und vielen weiteren Weltleitmessen, gesprochen. «Ich schaue sehr positiv auf die kommende Hannover Messe, weil die Wirtschaft gerade einen neuen Zusammenhalt findet. Aber wir befinden uns in Deutschland in einer Rezession, die nicht einmal im Jahr 2009 so drastisch war und das wirkt auf Messen zurück. Umso wichtiger ist ein neuer Mindset, wir müssen uns in Deutschland wieder mehr darauf konzentrieren, was möglich ist und nicht darauf, was nicht geht. Wir müssen aufgeschlossener werden, mit den Märkten und ihren Communities mitzugehen. Als Messeveranstalter können wir das. Unser Verkaufsargument besteht ja gerade darin, dass wir Communities schaffen. Aber auch wir müssen aufgeschlossener werden, damit das nicht verloren geht.»
«So etwas geschieht nur auf der Messe»
Betrachten wir jetzt das Messegeschehen selber. Die Hannover Messe 2025 hat sich mit 127’000 Besuchenden aus 150 Ländern wie jedes Jahr als die wichtigste Industriemesse der Welt gezeigt, als Tech-Show, Matchmaking-Plattform von Anbietern und Einkäufern – und als Stifter für den wirtschaftspolitischen Diskurs. Dieser startet jeweils schon am Tag vor der Messe, an der traditionellen Eröffnungszeremonie am Sonntag. Die Hannover Messe hatte brennende Aktualität mit dem Amerika-Kanada-Konflikt, den drohenden USA-Zöllen für die Welt und der Ukraine-Krise.
Wie man Leitmessen wie die Hannover Messe nutzt, zeigt jedes Jahr Festo (Bild zum Einstieg). Es ist einer der Aussteller, auf dessen Auftritt man sich stets freut. Warum? Weil der Messeauftritt die Verlängerung der Ganzjahreskampagne in Marketingkommunikation ist. Und die Hannover Messe der persönliche und kommunikative Höhepunkt im Kommunikationsjahr. Das spürt man an den Inhalten bei Festo (wir sind hier im 2024 zum ersten Mal dem Thema biologische Transformation begegnet, wo die Technikwelt sich noch auf digitale Transformation eingeschworen hatte), an der überzeugten Wahrnehmung der Live-Opportunitäten, die sich in Hannover (Serendipity!) ergeben. Und natürlich in der Spitzenkommunikation rund um den Messeauftritt.

Wir haben auf der Hannover Messe am ersten Messetag auch mit Andreas Züge und Margherita Borghi (Bild oben) von der Schweizer Vertretung der Deutschen Messe AG gesprochen. Sie diagnostizierten am Eröffnungstag der Hannover Messe gute Indikatoren für einen hochwertigen BesucherInnenzuspruch. «Wir haben gerade mit einem italienischen Unternehmen gesprochen, das schon am ersten Messetag einen neuen Kunden aus Mexiko fand. So etwas geschieht nur auf der Messe. Du triffst Dich auch mit bekannten Gesprächspartnern, aber das funktioniert nicht mit einer Videokonferenz. Das ist es, was Messen können: Menschen zusammen bringen, ohne dass sie vorher in Kontakt waren. Das nennt man Serendipity. Deshalb werden Messen ein wichtiges Instrumentarium für Unternehmen bleiben»
Die Schweizer Kapitulation: Old Economy Denken
Die Schweiz ist nach wie vor ein Musterland im Wirtschaftseuropa, was Einkommen, geringe Staatliche Regulierung und hochstehende Infrastruktur betrifft. Aber ähnlich, wie sich das wirtschaftliche Europa aus denselben Gründen auf dem Abstieg befindet, etwa im Wettbewerb mit Asien, kann auch der Schweiz langfristig ein ähnliches Szenario drohen, wenn sie sich auf ihren Lorbeeren ausruht.
Der wirtschaftliche Wandel geht schnell. Wer in Hannover fehlt, der kann den Anschluss verlieren, zu rasant sind die Entwicklungen in Industrie und im globalen Marketing.
Was sich seit Jahren abzeichnete, wurde auch auf der Hannover Messe 2025 überdeutlich: sie wird mehr und mehr geprägt von Ausstellenden und Besuchenden aus Asien. China ist bereits Ausstellerland Nummer Zwei, nur der Gastgeber tritt mit mehr Unternehmen auf. Dazu passt die Schlagzeile von Uwe Marx in der FAZ «Wann überholen die Chinesen auch hier die Deutschen?» Seine Kolumne bezieht sich zwar auf den wirtschaftlichen Wettlauf der Industrienationen, aber sie ruft geradezu das Bild, das sich einen auf der Hannover Messe präsentiert, hervor. Gelegentlich fühlt man sich geradezu auf einer asiatischen Messe. Wer mit asiatischen BesucherInnen spricht, zahlreiche von Ihnen von Investitionen tätigenden Wirtschaftsorganisationen, erkennt schnell den Know How-Nachholbedarf, den chinesische Delegationen an den Tag legen und die ebenso grosse Offenheit für einen entsprechenden Dialog.
Nur die Schweiz will sich heute dem Weltmarktgeschehen, das sich während fünf Tagen jedes Jahr in Hannover gespielt wird, entziehen. Wo sie früher, vor Covid, gleich mit zwei Gemeinschaftsständen und ausgebuchten Sonderflügen und zusätzlich mit individuellen Ausstellern präsent war, waren es im 2025 nur noch wenige Aussteller. Sie trafen auf BesucherInnen aus 150 Ländern, davon zahlenmässig die wichtigsten aus Deutschland, China, den Niederlanden, Kanada, Polen, Südkorea und Japan. Die Schweiz überlässt damit das Exportgeschäft den erwähnten und vielen anderen Nationen.
Der AUMA hat in seiner Studie «Mehrwert von Messebesuchen. Wie Einzelreisen vermieden werden» dokumentiert, wie Messebesucher durchschnittlich 13 Kontakte pro Tag wahrnehmen und dass damit 5 separate Reisen vermieden werden. Das Gleiche gilt natürlich in einem noch höheren Masse für die Kontaktchancen von Vertrieblern am Messestand.
Das Kontakt- respektive Verkaufspotenzial ist – wir haben auf jeder Hannover Messe als Besucher selber entsprechende Erfahrungen gemacht - muss ich es noch unterstreichen, gerade mit asiatischen Unternehmen – ist enorm bis, abhängig vom eigenen Verkaufstalent, unbegrenzt. Messen sind auch deshalb so wertvoll, weil anders als Online, immer auch das eintritt, was im Angelsächsischen Bereich «Serenendipity» heißt: Das Eintreffen von nicht geplanten Ereignissen.
Nun mag sich die von Klein- und Mittelunternehmen gekennzeichnete Schweizer Wirtschaft fragen, ob sie sich Weltleitmessen wie die Hannover Messe überhaupt leisten kann. Messen sind doch angeblich teuer, hat man denn Garantie auf Erfolg?
Mein Ansatz ist der: Ich frage mich, ob sich die Schweizer Wirtschaft eine Absenz auf der unumschränkten weltweit wichtigsten Industriemesse leisten kann und will und nicht gerade ihre Absenz teurer wird. Ich finde die Entwicklung, die die Schweiz hier genommen hat, bedauerlich, ein «Old Economy-Denken». Drehen wir es um!
Die nächste Hannover Messe findet ja schon statt vom 20. bis 24. April 2026!
TAKE OUTS

Siemens gewinnt den HERMES AWARD 2025
In diesem Jahr geht der renommierte HERMES AWARD an Siemens. Der Konzern erhält diesen begehrten Innovationspreis für KI-gestützte Industrial Copilots, die die industrielle Wertschöpfungskette ganzheitlich abdecken.
ecoplanet gewinnt den HERMES Startup AWARD
In diesem Jahr erhält ein junges Unternehmen aus München den begehrten HERMES Startup AWARD.
Deutsche Messe setzt auf LED-Walls auf dem Messegelände

Die Deutsche Messe AG setzt bei der Modernisierung ihres Messegeländes verstärkt auf digitale Anzeigen. Gemeinsam mit dem hannoverschen Unternehmen 4Dmagic hat die Deutsche Messe rechtzeitig vor Beginn der diesjährigen HANNOVER MESSE große LED-Screens an den Eingängen Nord 1, Nord 2 und West 1 installiert. Mit 12,5 x 7 Metern und einer Auflösung von 3,8 Millionen Pixeln ist der Screen am Eingang Nord 1 der größte auf dem Messegelände. Ergänzt werden die drei festinstallierten Anzeigen durch mobile Screens, die auf dem Messegelände während der Veranstaltungen im Einsatz sind.
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