Der Produktionsstandort Schweiz hat gute Chancen, weiter zu den Weltmarktführern zu gehören. Raphaël Müller, Leiter Industrial Solutions und Senior Consultant bei Brütsch/Rüegger Werkzeuge AG, sagt im Interview wie.
Guten Tag Herr Müller, was beschäftigt Sie zur Zeit am meisten?
Der Einfluss von Covid19 auf die Industrie Branche im Allgemeinen ist sehr stark. Unternehmen müssen Lösungen finden, um effizienter zu werden. Wir sehen in digitalen Lösungen ein großes Potenzial. Deshalb arbeiten wir intensiv an Anwendungen für Bereiche wie die Medizin. Bereiche, von denen wir glauben, dass sie in naher Zukunft zu einem normalen Rhythmus zurückkehren sollten. Wir rücken unsere IoT Jellix-Plattform in den Vordergrund.
Wie kann sich der Produktionsstandort Schweiz im internationalen Wettbewerb behaupten?
Die Schweiz war dem Spiel immer einen Schritt voraus. Wir haben Produktionstechniken, die in bestimmten Bereichen zu den besten der Welt gehören. Was heute fehlt, ist eine noch stärkere Verbindung zwischen Industrialisierung und digitaler Technologie. Sobald das Potenzial der Digitaltechnik vollständig in die Schweizer Produktionseinheiten integriert ist, wird es schwierig sein, mit unserem Land zu konkurrieren.
Unter Industrie 4.0 wird an verschiedenen Orten Unterschiedliches verstanden. Die einen verstehen darunter die moderne Automatisierung in Fertigungstechnik. Die anderen beschreiben es als Kommunikationsprozess von verschiedenen Industrietechnologien untereinander. Was ist für sie der wichtigsten Aspekt von Industrie 4.0? Wie werden aus Daten wertvolle Informationen für die Optimierung von Unternehmensprozessen?
Automatisierung und Computer sind seit über 20 Jahren Teil der Industrie. Es ist klar, dass heute alle Hersteller und Dienstleistungsanbieter versuchen, auf der «Industrie 4.0»-Welle zu reiten, indem sie ihr Produkt als solches deklarieren. Für mich ist Industrie 4.0 (Bild oben) jedoch etwas anderes. Die Digitalisierung einer Zelle, zum Beispiel einer Maschine, eines Roboters und einer Waschanlage, ist eine alltägliche Sache, und dafür gibt es keine Notwendigkeit für Industrie 4.0. Andererseits geht es darum, Systeme in großem Maßstab und global miteinander zu integrieren. Wie zum Beispiel ein kompletter Maschinenpark mit einem ERP-System und noch aggregiert mit Daten aus dem Qualitätssystem. Ohne für jeden Maschinen- oder Anlagentyp ein spezifisches System integrieren zu müssen, sprechen wir dann von Industrie 4.0.
Brütsch Rüegger hat mit der Jellix-Plattform nicht nur die digitale Transformation weiter getrieben. Sie hilft mit dieser Plattform auch seinen Kunden auf deren Weg zur Digitalisierung. Was ist die Philosophie von Jellix?
Jellix ist eine Plattform, die so neutral wie möglich bleiben muss. Wir wollen bestimmte Produkte nicht mehr als andere vorschlagen. Warum? Weil unsere Vision von Industrie 4.0 eine Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren des Marktes ist. Wenn wir zuerst an den Kunden denken, will er alle seine Systeme miteinander verbinden. Wenn unsere Plattform es uns nicht erlaubt, alle Systeme des Kunden zu integrieren, dann werden wir ihn nicht überzeugen können. Der derzeitige Markt besteht aus mehreren Arten von Kunden. Es gibt die Visionäre, die bereit sind, die ausgetretenen Pfade zu beschreiten, es gibt die Anhänger, die warten wollen, bis die ersten Tester ihre Erfahrungen gemacht haben und es gibt die Unternehmen, die überzeugt sind, dass ihre Prozesse bereits an der Spitze stehen und sich nicht ändern wollen. Das halte ich in einer Zukunft von 10 bis 15 Jahren für sehr gefährlich.
Wie gelangt Jellix von «big data» zu betriebswirtschaftlich nutzbaren, unternehmerisch wertvollen «smart data»? Genau hier liegt der Mehrwert. Die Plattform selbst ist lediglich ein technologisches Werkzeug, mit dem alle wichtigen Daten gesammelt werden können. Zu diesem Zeitpunkt gibt es jedoch noch keinen Wert, da Daten ohne Korrelationen keinen Wert haben. Auf der anderen Seite bringen Anwendungen, die auf der Jellix-Plattform laufen, Business Intelligence. Ganz zu schweigen von der künstlichen Intelligenz oder anderen Technologien, allein das Wissen, wie man die richtigen Daten zusammenstellt, sie zur richtigen Zeit anzeigt und den richtigen Personen zur Verfügung stellt, stellt bereits einen großen Mehrwert dar.
Sie sagen «Jellix ermöglicht Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, die Produktivität auf das nächste Level zu heben.» Welche Synergie-Effekte, auch bei den Investitionen, werden hier hergestellt?
Es ist nicht möglich, auf die nächste Stufe zu gelangen, ohne alle Schritte durchlaufen zu haben. Jeder Schritt bringt jedoch seinen eigenen Mehrwert. Mit Kunden, die Daten noch manuell eingeben, können wir nicht von einem adaptiven Prozess sprechen. Wenn man jedoch Schritte wie Konnektivität, Sichtbarkeit, Transparenz durchläuft, dann ist es möglich, Vorhersagen zu treffen und den Prozess anzupassen. Hier liegt das größte Verbesserungspotenzial.
Was ist der nächste Schritt von Jellix und von Brütsch Rüegger?
Wir versuchen, die Jellix-Plattform regelmäßig mit neuen Partnern zu erweitern. Was Brütsch/Rüegger betrifft, so haben wir jetzt 3 wichtige Anwendungen, die wir auf der Plattform anbieten. Der nächste Schritt besteht darin, unsere Anwendungen um künstliche Intelligenz zu erweitern.
Welche Rolle spielt additive Fertigung für Brütsch Rüegger? Wie marktreif sind Serienproduktionen in 3D-Druck, sagen wir von Werkzeugen?
Es handelt sich um eine Technologie, die wir genau verfolgen, weil sich die Bedürfnisse unserer Kunden im Laufe der Zeit ändern können, wenn neue Produkte oder Materialien für diese neuen Technologien entwickelt werden. Heute macht dies jedoch nur noch einen kleinen Teil unseres Geschäfts aus.
Welche Rolle spielen Messen in der Schweiz für das Marketing von Brütsch Rüegger wie die Blechexpo (Bild oben) oder die brandneue Innoteq in der Bernexpo, sofern diese denn überhaupt kommen? Welche Rolle spielt für Brütsch Rüegger der Messeplatz Schweiz? Welche Zukunft geben sie ihm?
Wir sehen, dass Veranstaltungen wie diese nicht mehr so erfolgreich sind wie früher. E-Marketing ist zu einem wichtigen Teil unserer Strategie geworden. Andererseits versuchen wir immer, bei solchen Veranstaltungen präsent zu sein, damit wir vom ersten Treffen an direkten Kontakt mit unseren Kunden haben.
Brütsch Rüegger war Aussteller auf der HannoverMesse. Jetzt hat sie im 2020 coronabedingt nicht stattgefunden. Was hat Ihnen gefehlt?
Wir sitzen alle im gleichen Boot, andere Unternehmen sind alle mit dem gleichen Problem konfrontiert. Die Auswirkungen sind insofern schwer zu messen, als viele unserer Kunden ihr Geschäft aufgrund des Coronavirus verlangsamt haben. Infolgedessen hatten Digitalisierungsprojekte in der ersten Hälfte dieses Jahres keine hohe Priorität.
Was ist Ihre Bilanz der Hannover Messe digital vom September 2020?
Was uns betrifft, so hat sie nichts bewirkt. Auf jeden Fall war die Weltlage zu angespannt, um über diese Art von Event nachzudenken.
Welche alternativen Marketingschritte lassen sich jetzt angesichts der lahmgelegten Messewirtschaft denken?
Online-Präsentationen mit Videokonferenz-Tools sind heute weit verbreitet. Das gilt auch für Webinare.
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