Wie können Messen in Zeiten geopolitisch fragmentierter Märkte ihre alte Rolle als internationale Brückenbauer wahrnehmen? Annika Klar, die nach ihrer erfolgreichen Zeit als Landeschefin der Deutschen Messe in der Türkei jetzt deren Auslandsgeschäft von Hannover aus koordiniert, will mit neuen Formaten auf den Auslandsmessen zu einem intensiven Dialog über die Märkte hinweg beitragen. China ist und bleibt für uns sehr relevant, sagt sie.
von Annika Klar, Senior Vice President New and Global Business Development, Deutsche Messe AG || 8. Februar 2025
Annika Klar, Sie koordinieren die vielfältigen Auslandsaktivitäten der Deutschen Messe in einer Zeit großer weltwirtschaftlicher Herausforderungen. Was sind Ihre wichtigsten Zielsetzungen?
Wir müssen uns als Messegesellschaft gerade heute an den Fragen unserer Kunden ausrichten: Was brauchen sie und wo brauchen sie in welchem Markt welche Unterstützung? Wie verändern sich diese Märkte für die Kunden? Wie können wir sie bestmöglich begleiten und für sie neue Chancen erschließen? Das heißt für uns, unseren Kunden in diesen außergewöhnlichen Zeiten Stabilität und Kontinuität zu vermitteln. Wie immer sie sich neu ausrichten, wohin sie neue Kontakte brauchen - wir beraten und begleiten sie.
Welches sind die Themen, die Sie für alle internationalen Plattformen der Deutschen Messe als zentral ansehen?
Ein Topthema auf all unseren Plattformen ist tatsächlich die weltwirtschaftliche Veränderung - vom weltumspannenden offenen Handel zu immer mehr Protektionismus - wo es Unternehmen schwerer fällt, Krisen zu antizipieren, das Business stabil zu halten und selbst verlässlich zu bleiben.
Das zweite große globale Thema ist natürlich die Künstliche Intelligenz. Wie sie die Produktion verändert, neue Geschäftsmodelle ermöglicht, das wird auf allen unseren Plattformen diskutiert.
Und das dritte Megathema bleiben Energieeffizienz und Nachhaltigkeit. Der Green Deal der EU, Transparenz und Nachhaltigkeit in den Lieferketten - das ist auch für international aktive Unternehmen wichtig, die in ihren nationalen Märkten solche Richtlinien noch nicht kennen.
Ein Zukunftsthema für jede Messegesellschaft sind neue Services, die den klassischen Flächenverkauf ergänzen. Was sehen Sie auch international als gefragte neue Dienstleistungen an?
Es geht darum, die genannten großen Themen anfassbarer zu gestalten. Konferenzen und Wissensvermittlung werden immer wichtiger. Das heißt: Überall auf der Welt die richtigen Leute zusammenzubringen, die großen Herausforderungen zu thematisieren und mit den Kunden neue Geschäftsmodelle zu diskutieren. Weltweit eine Chance sind auch Zwischenkonferenzen, wo wir Premiumpartnern neue Beteiligungsformate anbieten können und Wissensvermittlung nicht nur einmal pro Jahr, sondern auch unterjährig voranbringen. Hiermit können wir uns gut vom Wettbewerb abheben und haben auch Möglichkeiten, dies zu monetarisieren.
Auch gilt es, diese Trends nicht nur anfassbar, sondern auch erlebbar zu machen in Hannover, aber auch auf unseren Auslandsmessen. Auf der WIN Eurasia in der Türkei haben wir zum Beispiel eine ganze Produktionsstraße nachgebaut, unter 5G-Bedingungen und von einer Drohne gesteuert. Für die Kunden wird so transparent, welche Komponenten wie zusammenspielen. Für uns als Messe ist das ein neues Businessmodell, Sponsoren und Unternehmen für solche großen und ganz neuen gemeinsamen Showcases zu gewinnen.
Was ist dazu die passende Organisationsstruktur: Zentral gesteuerter Vertrieb, knallhartes weltweites Branding oder die große Freiheit der Ländergesellschaften beim Wettbewerb in den Zielmärkten? Wie sehen Sie diesen Spagat?
Ich begreife das gar nicht als Spagat, sondern als Dialog. In der Covid-Pandemie hat die Deutsche Messe dabei einen großen Schritt nach vorne getan. Die Tochtergesellschaften haben weltweit eine große unternehmerische Freiheit bekommen nach dem Motto: Ihr seid für euer Land verantwortlich, ihr kennt die Themen, ihr wisst, wie Veranstaltungen weiterzuentwickeln sind und wie ihr am besten Neugeschäft zu Themen aufbauen könnt, die bei euch in das Land passen. Dies hat einen ziemlichen Wachstumsschub gebracht.
Weltweit geht es nun darum, im Zusammenspiel mit dem Hauptsitz und allen Tochtergesellschaften das Management unserer Messemarken weiter zu professionalisieren, das Potenzial der Messen für die einzelnen Märkte zu analysieren und sie für diese passend zu gestalten. Und darum, Neugeschäft losgelöst von den bestehenden Marken aufzubauen.
Hauptquartier: Das Messegelände in Hannover.
Was ist dann Ihre neue Aufgabe hier am Hauptsitz?
Jetzt in meiner neuen Aufgabe geht es darum, unser Neugeschäft voranzubringen, im Inland wie im Ausland. Mit Partnern, Stand-Alone und auch durch Mergers & Acquisitions. Nach der Pandemie vernetzen wir jetzt unsere Tochtergesellschaften im Ausland nicht nur auf der Ebene der einzelnen Messemarken, sondern auch bei der Produktentwicklung neu.
Die Deutsche Messe versteht sich als weltweites Team, um Synergien besser zu nutzen. Wir möchten schneller und schlagkräftiger werden und die unternehmerische Freiheit gemeinsam für Wachstum nutzen.
Schauen wir exemplarisch in wichtige Ländermärkte und fangen natürlich mit der Türkei an, wo Sie jetzt mehrere Jahre das Messegeschäft verantwortet haben.
Spannend in der Türkei zu erkennen ist, dass vieles von dem, was wir hier in Deutschland für schwierig halten, dort gar nicht als große Schwierigkeit gehalten wird. Konjunkturschwankungen passieren dort etwa in der bekannten V-Form - darauf ist man dort eingestellt und bleibt chancenorientiert.
Wir hatten in den krassen Inflationsjahren die besten Jahresergebnisse, die wir jemals eingefahren haben. Das liegt natürlich an vielen Faktoren. Die Türkei hat ein Stück weit von der Pandemie profitiert. Sie ist als Nearshoring-Standort präsent und liefert qualitativ hochwertige Zulieferprodukte. Auch haben die Unternehmen dort einen gewaltigen Sprung gemacht in Sachen Qualität und Content, wenn ich das mit meinen ersten Besuchen in der Türkei vor zwölf, dreizehn Jahren vergleiche. Und sie haben sich als sehr anpassungsfähig erwiesen, suchen aktiv Nischen und nutzen geopolitischen Spielraum.
Dazu kommt, dass sich die Türkei nach Covid weltweit wieder früh für Messebesucher geöffnet hat. Die Regierung hat in die Messeaktivitäten investiert, gemeinsam mit den Veranstaltern und Verbänden gezielt Einkäufer auf die Messen im Land geholt und die Export- und Messeförderung für Unternehmen erweitert.
Welche Rolle spielt die Visapolitik im Schengenraum für die Entwicklung von Messen in der Türkei?
Die Visapolitik im Schengenraum ist massiv rigider geworden. Davon hat die Türkei profitiert, denn dort kann man jetzt Kunden treffen, die nicht so leicht nach Deutschland beziehungsweise Europa einreisen können wie früher. Nordafrika, die Golfregion, die Länder Zentralasiens. Auch für die Türken selbst ist der Schengenraum sehr schwierig zugänglich.
Aktuell wirken die hohen Zinsen aber dämpfend auf die Investitionen der türkischen Wirtschaft. Die Prognosen sind nicht mehr ganz so positiv wie noch vor einem Jahr, außer für die Messewirtschaft. Aktuell boomt fast jede Veranstaltung in der Türkei, nicht nur wegen des, trotz Inflation und nicht mehr ganz so starken Wachstumsraten, starken Binnenmarktes, sondern auch aufgrund der hohen Internationalität auf den Messen. Wir sind dort, um unseren Kunden den Zugang zur ganzen Region zu erleichtern.
Sprechen wir über den Messemarkt China. Die UNIDO, die ein wichtiger Partner der Deutschen Messe ist, spricht in einer neuen Studie davon, dass China 2030 den Anteil an der Weltindustrieproduktion noch einmal kräftig ausweiten kann. Was bedeutet das für die Industriemessen?
China ist und bleibt für uns sehr relevant. Aus verschiedenen Gründen. Zum einen haben sich die Unternehmen dort massiv weiterentwickelt. Die Zeiten sind vorbei, in denen auf die kleinen, chinesischen Messestände heruntergeschaut und vor Produktpiraterie gewarnt wurde.
Mittlerweile kommen neben Highscale qualitativ gute und innovative Produkte aus China. Die Firmen gehören einfach zum Weltmarkt, daran kommt kein Mensch vorbei. Zölle werden nichts daran ändern, was in China durch Know-how, Entwicklung und Forschung und auch durch internationale Zukäufe entstanden ist.
Auch wenn der chinesische lokale Markt leicht stagniert, bleibt er nach wie vor ein sehr wichtiger Binnenmarkt. Auch wenn wir auf unseren Messen in China BesucherInnen aus Japan, Korea, Australien etc. haben, ist der Kern der Besucherschaft zumeist chinesisch, eben aufgrund der immer noch hohen Binnennachfrage.
Für die industrielle Entwicklung und für internationale Investitionen werden Ökosysteme immer wichtiger, in denen sich starke lokale Lieferketten entwickeln können. Wie fördern Ihre Messen die Vernetzung, die dafür notwendig ist?
Wichtig ist, dass wir vermehrt in die sogenannten Second Tier Cities gehen - die ja auch alle Millionenstädte sind. Zu Beginn unserer Aktivitäten in China waren wir sehr stark in Shanghai, teilweise in Peking präsent, dann folgten Shenzhen und Guangzhou.
Jetzt schauen wir in andere Städte und Provinzen: Wo wird was gebraucht? Was sind lokale Lieferketten, was für Themen und Produkte passen dort dazu?
Dabei entwickeln wir übrigens nicht nur unsere bestehenden Messemarken lokal weiter, sondern erweitern unser Portfolio - übrigens mit lokalen Produktentwicklern vor Ort. So haben wir zum Beispiel ein Business:to:Consumer-Konzept für die Generation Z in China lanciert oder neben den klassischen Industriethemen auch die jüngste Kooperation beim Thema Security und Firefighting in Beijing.
Gibt es von Ihrer Seite Wünsche an die Industrie- und Messepolitik in China?
Ja, der Wunsch ist einfach, dass das Land offen bleibt für den Input von draußen, auch bei den Themen der Messewirtschaft. Dass man sich weiter zuhört, dass Märkte also nicht protektionistisch verschlossen werden. Wir brauchen uns ja gegenseitig. Chinesische Firmen gehen stark hinaus in die Welt. Aber die Welt soll auch weiterhin leicht nach China kommen können.
Das Interview führte Hans Gäng, local global, Stuttgart. In der mit diesem Interview lancierten smartville digital-Interviewserie spricht er mit internationalen Messeveranstaltern zu ihrem Selbstverständnis und ihren Zielen in schwierigen Zeiten.
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